Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman
Bremen, der vorhat, aus seinem Containerschiff ein geheimes Auswandererschiff zu machen, wenn man so will, verstehst Du?“ Über Martins Gesicht huschte ein flüchtiges Lächeln, als er entgegnete: „Aber hör mal – nur zu gut! Wie bist Du denn zu dem gekommen, Mensch?“
„Naja, eigentlich… über seine Frau. Nicht, was Du denkst: wir haben zusammen die Schulbank gedrückt und sind uns vor zwei Jahren zufällig beim Einkaufen wieder über den Weg gelaufen. Sie stellte mir ihren Mann vor – seitdem bin ich in ihrer Kegelrunde.“
„Das Projekt mußt du mir später nochmal genauer auseinandersetzen, aber ich bin mir jetzt schon sicher: das ist unser Mann. Halt mich also auf dem laufenden, Jörg. – Eines noch: wann soll der Kahn denn fertig sein?“
„Ende dieses Monats soll’s losgehen, wie ich höre.“ Nun war es Martin, der seinem Gegenüber auf die Schulter klopfte und mit einem Zwinkern, das wohl so viel bedeuten sollte wie „Uns hat er beim Haken!“, entfernte er sich.
Die kurze, atypische Grabrede hatte die Gesellschaft aufgewühlt. Einige Trauergäste rangen tatsächlich mit sich, was die Auswanderungsfrage anging, um eine Entscheidung. Martin hatte etwas an sich, was es ihm leicht machte, Menschen zu überzeugen. Es war dies aber keine besonnene Beredsamkeit, sondern vielmehr etwas Ungestümes, etwas, das die Herzen der Menschen im Sturm eroberte, sie entweder im Handstreich nahm oder gar nicht. Er war dabei kein gewiefter Manipulator oder Demagoge, der Rhetorikkurse besucht und sein Fach studiert hatte. Er war – ganz im Gegenteil – ein recht einfacher Mann, wiewohl nicht ungebildet, der zunächst als Schlosser seine Brötchen verdient und irgendwann sein Handwerk an den Nagel gehängt hatte, um Berufsfeuerwehrmann zu werden. Was er sagte, das sagte er aus tiefster Überzeugung, weshalb ihm kaum jemals Mißtrauen entgegengebracht wurde. In der Regel trat er dabei – einen Ratschlag Luthers beherzigend – frisch auf, machte das Maul auf und hörte bald auf.
So geschah es, daß sich beim anschließenden Leichenschmaus im Gasthaus „Rössle“ schließlich die Träubeles, eine dreiköpfige Familie aus der Nachbarschaft, an Herrn Bühler wandten, der gerade mit seiner Frau plauschte, und ihren Willen zur gemeinsamen Auswanderung bekundeten. Kurz darauf bekam er von Frau Brunner, einer knochigen, alleinstehenden Dame mittleren Alters ohne nähere Verwandtschaft, mitgeteilt, auch sie wolle sich der Familie auf ihrem Exodus anschließen, da sie die Faxen in der Bundesrepublik schon längstens dicke habe, wie sie sich ausdrückte.
Am liebsten hätte Martin aber auch Roland Häberle für die Unternehmung gewonnen, denn er wußte diesen wie kaum einen anderen zu schätzen. Doch Häberle, der mit Erik am Kopf der Tafel saß, machte keine Anstalten, sich der Gruppe anzuschließen, und so ging denn Martin selbst offensiv auf ihn zu: „Roland – alter Knabe! Was hältst Du von der Option Neuseeland, von der ich vorhin gesprochen habe?“ Der Greis lächelte bei dieser herzlichen Anrede, zog dann jedoch eine seiner buschigen, weißen Augenbrauen hoch und antwortete in seinem breiten Schwäbisch: „I bin nemme de Jingscht, des woisch doch.“
Zwar hatte der Siebzigjährige vor Jahr und Tag als Theaterschauspieler auch nicht die Annahme von Rollen gescheut, in denen er hatte hochdeutsch sprechen müssen, aber die Mundart war ihm eben doch am liebsten – und so hörte man ihn seit seinem Eintritt in das Rentenalter nur noch auf diese Weise fabulieren, obgleich das die Kommunikation mit „Fischkepf“ wie Jörg Nolte denkbar erschwerte. „Du wirst sicher nicht der einzige ältere Reisende sein, Roland. Es ist nie zu spät für einen Ortswechsel, glaubst Du nicht?“ bohrte Martin weiter. Roland Häberle ließ sich nicht umstimmen:
„Noi, loss gut sei. I bin oimol umzoge – vo Vaihinge(n) do her, des hot ma g‘langt.“ Als Martin noch immer nicht locker lassen wollte, da bekam er von dem alten Mann schließlich noch eine Lebensweisheit botanischen Ursprungs mit auf den Weg: „Alde Bemm kosch nemme verpflanze, die sterwe. Aber i frei mi ganz ehrlich, daß’d mi g‘frogt hesch.“ Damit war das Gespräch beendet.
♦
Jack hockte eben noch, als schon die Nacht hereingebrochen war, auf einer Holzbank vor seiner Fischerhütte, in der er das Bootszeug und die Werkzeuge aufbewahrte, die er hin und wieder für die Ausübung seines Handwerks benötigte. Er flickte eines jener Netze, die
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