Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman
Schreibtisch des Außenministers befand. Der weiße Rauch waberte in Schwaden umher. Man mußte schon genau hinsehen, um den Mann zu erkennen, der da in seinem Sessel saß, die Füße vor sich auf dem alten, eichenhölzernen Sekretär verschränkt, welchen er unlängst aus seiner Wohnung mitgebracht und hier aufgestellt hatte. Der Schreibtisch, der zuvor an dieser Stelle gestanden hatte, war ihm auf verschiedene Art mißfallen. Einmal war er unpraktisch, da er über keine geräumigen Schubladen verfügte – und zum anderen war er der Mode wegen schräg geschnitten, was der alte Mann als vollendeten Nonsens empfand.
Van Buren paffte gerade seinen letzten gestopften Pfeifenkopf Virginia-Tabak und blies den Qualm genüßlich in jener Weise aus, die kleine Kreise entstehen läßt. Er wirkte äußerlich sehr gelassen, man hätte glauben mögen, er sei die Ruhe selbst, dabei war er innerlich extrem angespannt. Gleich würde er sich vor dem Kabinett für seine Radioansprache vom 18. Mai rechtfertigen müssen, in welcher er im Namen der neu gebildeten Regierung alle Weißen künftig in Neuseeland willkommen geheißen hatte, die arbeitswillig wären. Selbst in den Reihen seiner eigenen Partei „European Nation“ hatte sich Widerstand gegen dieses stürmische, ja gewaltsame, Vorgehen formiert. Seine Nerven waren gespannt wie Drahtseile.
Würde sein Ansinnen, in Neuseeland eine neue Heimat für Europäer zu schaffen, die es bleiben wollten, eine souveräne Mehrheit bei den Parteigenossen finden? Die ganze Sache stand auf Messers Schneide; er hatte alles gesetzt, würde er alles verlieren? Er wußte, nur wenn es ihm jetzt gelänge, auch noch den letzten Zweifel an der Richtigkeit seines eingeschlagenen Kurses bei seinen eigenen Parteifreunden auszuräumen und sie sämtlich auf seine Seite zu ziehen, würde die Podiumsdiskussion und die anschließende Abstimmung im Parlament den gewünschten Erfolg zeitigen.
Die ganze Angelegenheit lag ihm deshalb so am Herzen, weil er vor annähernd zwei Jahrzehnten selbst als Einwanderer nach Neuseeland gekommen war. Er hatte zuvor Zeit seines Lebens – er wurde immerhin schon bald 70 – in Südafrika gelebt, in das seine Vorväter wiederum im 18. Jahrhundert aus den Niederlanden eingewandert waren. – Lange war es her, daß er Menschen Afrikaans miteinander hatte sprechen hören, dachte er mit einer gehörigen Portion Wehmut. Er war damals gerade zur rechten Zeit aus Südafrika geflohen, denn die Verhältnisse waren seit dem Ende der Apartheid in den 1990er Jahren von Jahr zu Jahr schlimmer und letzthin unerträglich für die weiße Bevölkerung geworden, bis sich die Lage im Jahr 2021 so zugespitzt hatte, daß sich der Haß der schwarzen Mehrheit auf die Weißen, die „alten Herren“, in einem mehrere Tage andauernden und das ganze Land erfassenden, blutigen Pogrom entlud, der Tausende von Todesopfern forderte – vergleichbar mit dem Völkermord in Ruanda. Mit Macheten, Messern, Keulen und Schußwaffen wurden einzelne Weiße oder kleinere Gruppen von Europäern gejagt und niedergemacht – ein unbeschreibliches Gemetzel. In Durban, Johannisburg, Pretoria, Kapstadt, Heidelberg – überall lagen die leblosen Körper weißer Südafrikaner in den staubigen Straßen und dreckigen Gassen; viele hatten sich zu Beginn der Unruhen in Botschaften geflüchtet, aber die meisten dieser Gebäude wurden von dem wütenden Mob eingenommen, und selbst die Diplomaten hatten nicht mit Schonung zu rechnen, sondern wurden von der rasenden Menge in Stücke gerissen.
Über dieses traurige Kapitel der Zeitgeschichte, das ihn selbst auf mannigfaltige Weise tangierte, dachte Van Buren gerade nach, als der lange Zeiger seiner Armbanduhr auf fünf vor zwölf sprang und ihn daran gemahnte, daß es langsam Zeit wurde, sich mental auf seine Rede einzustellen. Aber hatte dieser Sachverhalt nicht auch eigentlich mit seiner Rede zu tun? Waren das nicht auch Dinge, die er zur Sprache bringen, Szenarien, die er den Menschen in Erinnerung rufen wollte? Er hatte einige Monate nach den Geschehnissen in seiner alten Heimat Gelegenheit gehabt, mit Überlebenden zu sprechen, die in Neuseeland einen Antrag auf Asyl gestellt hatten, dem in der Folge auch stattgegeben worden war, und fand sich noch immer zutiefst erschüttert von ihren detailreichen Schilderungen.
So etwas sollte nie wieder ungestraft geschehen können, räsonierte er, wurde dann aber endgültig aus seinen Betrachtungen gerissen, denn es klopfte an die
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