Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman
brennt, dann werdet ihr den Generalalarm hören – siebenmal kurz und einmal lang – und euch dort einfinden, wo jetzt euer Gepäck steht.“ Beruhigend setzte er noch hinzu, am wahrscheinlichsten sei selbstverständlich, daß das Schiff überhaupt nicht untergehen werde, er fahre seit zwanzig Jahren zur See und sei noch nicht einmal ertrunken. Das heiterte auf, und Erik Bühler, der diese Feststellung wahnsinnig komisch fand, rief: „Bravo, Herr Georgiev, bravo!“ und klatschte dazu in die Hände.
Jetzt erfolgte die Zuweisung der jeweiligen Wohncontainer, die recht schnell über die Bühne ging. Es gab Familiencontainer mit einem Doppelbett und obligatorisch drei Holzpritschen für die Kinder, wie auch gewöhnliche Gemeinschaftscontainer mit drei Stockbetten, die entfernt an Jugendherbergszimmer erinnerten. In der Mitte eines jeden Containers hing eine Glühbirne von der Decke herab – nicht schön, aber praktisch. Auch ein Tisch mit sechs Stühlen war überall vorhanden. Alles in allem war die Einrichtung äußerst spartanisch, doch wollte stets bedacht sein, daß dies keine Kreuzfahrt war, welche man etwa zur Erholung veranstaltete. Bühlers bekamen einen Wohncontainer in der vierten Bay an Backbord angewiesen, den sie auch gleich beziehen wollten. Die Führung war damit beendet. Die Auswanderer strömten dem hinteren Teil des Frachters zu, um ihre Habseligkeiten und auch ihre Schäferhündin abzuholen, die sie für die Zeit des Rundgangs in weiser Voraussicht bei Träubeles zurückgelassen hatten, eingedenk der Erkenntnis, daß ein Maschinenraum nichts für Hundeohren ist.
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Als die Nacht hereinbrach, hatte das Schiff längst die Anker gelichtet und bahnte sich stampfend seinen Weg durch die raue Nordsee. Die Maschinen waren schon angefahren worden, als die Bühlers noch ihren Rundgang mit dem Dritten Offizier unternommen hatten. Diese hatten sich mittlerweile häuslich eingerichtet, einen Teil ihrer Koffer ausgepackt und verzehrten ihr kärgliches Abendmahl: Brot mit Büchsenwurst und Scheibenkäse. Einmal am Tag gab es an Bord warmes Essen, dann nämlich, wenn der Smutje an seiner Gulaschkanone stand und sich jeder einen Napf, Familien einen Topf abholen durften. Nachschlag war ab 12 Uhr 30 zu haben, so lange der Vorrat eben hinreichte. Abends wurden Brot, Aufstrich, Wurst und Käse sowie hin und wieder Früchte für das Abendessen als auch für den kommenden Morgen ausgegeben, so daß niemand würde Hunger leiden müssen.
Martin Bühler biß genüsslich in die Scheibe Brot, die er sich gerade dick mit Büchsenleberwurst geschmiert hatte, und lehnte sich im Stuhl zurück, der eigentlich für einen Menschen seiner Größe viel zu klein geraten war. Als er den ersten Bissen gekaut und heruntergeschluckt hatte, sagte er zufrieden: „Nahrung und ein Dach über‘m Kopf, was möchte man mehr?“ Stella, die eben aus ihrem Hundenapf fraß, hob ihren Kopf, machte ein undefinierbares Geräusch, welches zwischen einem Japsen und einem Jaulen wohl am besten zu verorten wäre, und fraß dann in Seelenruhe weiter. Es schien fast, als hätte sie durch dieses Geräusch ihre Zustimmung zu dem Gesagten auszudrücken versucht. Jedenfalls richteten sich für einen Moment die Blicke der drei um den Tisch gruppierten Zweibeiner unwillkürlich auf das Tier, und Luise, der man ein gewisses Unbehagen leicht ansah, sagte in halb neckischem, halb vorwurfsvollem Ton: „Du und der Hund seid euch mal wieder einig! Wie könnte es auch anders sein…“ Martin zog es vor, dem nichts zu entgegnen, sondern stattdessen nur liebevoll zu lächeln, denn sein charmantes, bubenhaftes – zugleich naives und spitzbübisches – Lächeln pflegte seine Frau selbst dann zu entwaffnen und wieder handzahm zu machen, wenn sie gleich einer entfesselten Furie oder eines HB-Männchens an die Decke zu gehen drohte. Denn der Mann hatte eine Ahnung, was seine Frau störte: die Situation mit den Naßzellen. Eine Frau brauchte nun mal, auf längere Zeit hin betrachtet, ein Badezimmer, dachte er.
Auf dem Schiff war das Problem menschlicher Grundbedürfnisse dergestalt gelöst worden, daß sich in jeder zweiten Reihe zwei zu Naßzellen umfunktionierte Container befanden, die jeweils acht Duschkabinen enthielten und von denen der eine drei Damentoiletten, der andere zwei Herren-WCs und ein Pissoir beherbergte. Auch wenn sie es nicht direkt ansprach, so kannte er seine Gattin doch gut genug, um zu wissen, daß ihr dieses Kapitel der „Kreuzfahrt“
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