Das Kreuz des Zitronenkraemers
gekommen?“ Jetzt war Hannes wirklich hellwach. Krampfhaft suchte er nach einer Erklärung. „Wir müssen nämlich bei ungeklärten Verletzungsfällen, und Ihrer ist im Moment einer, die Polizei verständigen“, ließ ihn die Brünette wissen. „Um Gottes Willen, keine Polizei.“ „Dann sagen Sie uns, was passiert ist, ansonsten lasse ich gleich anrufen, Sie scheinen vernehmungsfähig zu sein.“ Hannes überlegte fieberhaft. Der Gedanke an Claire und den armen Andreas ließ ihm gar keine andere Wahl. Die Polizei durfte auf keinen Fall eingeschaltet werden. „Ich wollte auf einen Hochsitz, der war ziemlich morsch, ein Stück Holz ist auf mich gestürzt, als ich auf der Leiter war“, stammelte Hannes kleinlaut. Ob sie ihm das wohl abnehmen würden? „Okay“, die Notärztin blickte zum Milchglasfenster des Krankenwagens hinaus, „wir sind da.“
Hannes wurde auf einer Liege in einen Behandlungsraum gekarrt. Ein Arzt mit extrem abstehenden Ohren nahm die Binde von seinem Kopf. Eh er sich versehen konnte, rasierte ihm eine Krankenschwester mit blondem Pferdeschwanz die Haare vom Schädel. Die nette Schwester tupfte ihm dann mit irgendwelchen nassen und scharf riechenden Kompressen auf der Wunde herum und sprach die ganze Zeit beruhigend auf ihn ein. Dann setzte der Arzt, der aussah wie Dumbo, der Elefant, ein Gerät auf, das ihm wie der Klammerapparat auf seinem Schreibtisch vorkam.
„So, Herr Harenberg, die Wunde ist versorgt, jetzt schicken wir Sie zum Röntgen und zum CCT.“
Dumbo konnte sprechen. „Was ist CCT?“, wollte Hannes wissen, er hatte Angst, noch mehr Schmerzen ertragen zu müssen. „Cerebrale Computertomographie, also eine Schichtaufnahme des Schädels, um eventuelle Hirnblutungen auszuschließen“, ließ ihn der Elefant wissen. „Aber ich muss nach Hause, ehrlich, bei mir ist alles in Ordnung“, versuchte Hannes zu erklären. „Vielen Dank für den schönen Verband“, dies galt der Krankenschwester, die ihm einen, wie er hoffte, phänomenalen Turban verpasst hatte. „Ja, ja“, sagte Dumbo, „wir machen jetzt noch die Untersuchungen und dann bleiben Sie bis morgen unter Beobachtung. Das Bett von der Station ist schon bestellt. Haben Sie Angehörige, die wir informieren sollten und die sie an der Pforte anmelden können?“
Hannes dachte sofort an Anne. Aber er wollte sie hier nicht mit reinziehen. Sie würde sich nur unnötig Sorgen machen. „Nein, hab ich nicht“, antwortete er. Dann fragte der Arzt, ob Hannes bereits eine Tetanusimpfung hätte. Das hatte er befürchtet! Erst wollte er lügen, aber dann dachte er an die große Wunde auf seinem Kopf, die im Dreck gelegen hatte und sagte kleinlaut und ängstlich die Wahrheit. „Also gut“, meinte Dumbo ohne jedes Mitgefühl und wandte sich wieder der Schwester zu. „Tetanol und Tetagam i.m. Meinen Sie, sie können sich mal zur Seite drehen? Ich muss an Ihren Hintern“, damit meinte er allerdings wieder Hannes und nicht die Schwester.
Wenig später lag Hannes in einem weißen Krankenhausbett, geparkt vor der Röntgenabteilung. Die Schwester mit dem Pferdeschwanz kam noch einmal zu ihm und drückte ihm schmunzelnd ein Papier in die Hand. Als sie wieder verschwunden war, las Hannes:
„Tapferkeitsurkunde für den kleinen Hannes, der in Angesicht der Spritze mit der langen, dicken Nadel, nicht geweint hat.“
Das dumpfe Brummen dieser dämlichen Röhre machte Hannes noch wahnsinnig. Es kam ihm wie eine halbe Ewigkeit vor, als ihn die Röntgenassistentin endlich aus dem Ding befreite. „Also Platzangst darf man da drin keine haben“, bemerkte Hannes noch, als die junge Frau ihn mitsamt Bett schon wieder in den Flur karrte.
Hannes traute seinen Augen kaum. „Anne, was machst du denn hier?“ Er war verwundert und erfreut zugleich. Trotzdem schämte er sich ein bisschen, dass sie ihn in seiner derzeit jämmerlichen Lage sah. Anne schien das aber nicht zu stören, sie beugte sich sogar zu ihm herunter und küsste leicht seine Stirn. „Habe ich mir vielleicht Sorgen um dich gemacht“, sprach sie in einer Tonlage, die Hannes sofort schwach gemacht hätte, wäre er nicht sowieso schon so schwach gewesen. Hannes fasste sich wieder und fragte, woher Anne denn überhaupt wusste, dass er im Krankenhaus sei. „Von Barbara“, gab Anne zur Antwort, bevor er seinen Satz zu Ende führen konnte. „Ich wollte gerade Peter anrufen, als … “ „Wieso Peter?“, fuhr Hannes unhöflich dazwischen. „Na, weil der mich vorher angerufen
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