Das Kreuz des Zitronenkraemers
eine kratzende Wolldecke gehüllt, beobachte Anne das Geschehen um sie herum wie in einem Film. Sie saß einfach nur dabei und schaute zu. Sie sah, dass Schönemann mit einem Verband auf dem Kopf in Begleitung von zwei Polizisten in einen Krankenwagen verfrachtet wurde. Andreas lag auf einer Liege auf dem Waldboden und hatte eine Infusion am Arm. Seine Nase war über einen kleinen Schlauch mit einer Sauerstoffflasche verbunden. Ein Arzt war dabei, den stinkenden Verband abzuwickeln. Anne hörte ihn wieder summen. Claire kniete neben ihm und weinte ununterbrochen. Vor Erleichterung oder Sorge. Anne wusste es nicht. Sie wollte nach Hause. Mit Hannes nach Hause. Ein heißes Bad nehmen. An Hannes kuscheln und ihn nie wieder loslassen. Aber Hannes stand ein paar Meter entfernt. Er sprach mit den Polizisten. Auch mit ihr wollten sie noch reden. Sie hatte Ambrosius Tagebuch unter ihrem T-Shirt versteckt. Hoffentlich entdeckte es niemand. Sie hatte nur einmal kurz hineingesehen. Kein Wort hatte sie lesen können. Dr. Mezza würde sich sicher über eine neue Herausforderung freuen.
Jetzt kam ein Beamter in ihre Richtung. Anne wickelte sich und das Buch noch fester in die Decke. Sie fröstelte. Sie wollte nicht mehr mitspielen in diesem Film.
Kapitel 20
Es war vorbei. Hannes hatte den Polizisten davon überzeugen können, dass sie heute zu keiner Vernehmung mehr fähig wären. Der Arzt hatte dies bestätigt und Anne eine leichte Beruhigungsspritze verpasst. Sie lag nun in Hannes Badewanne und döste. Paula hielt bei ihr Wache und lag auf den kalten Fliesen. Sie war nicht mehr von ihrer Seite gewichen. Claire hatte sich nur kurz verabschiedet, sie wollte Andreas natürlich begleiten.
Angespannt hockte Hannes auf der Arbeitsplatte seiner Küche. Ihm war immer noch schlecht. Immer wieder stieg ihm der Gestank aus dem Stollen in die Nase. Hannes versuchte, die grauenvollen Bilder in seinem Kopf zu vertreiben und blätterte lustlos in einem Werbeblättchen irgendeines Möbelhauses.
Peter klopfte an die Terrassentür. „Darf ich reinkommen? Oder stör ich?“
„Nein, komm rein“, antwortete Hannes.
„Irgendwie weiß ich nicht, was ... “
„Schon gut, setz dich.“ Hannes erhob sich und zog eine Flasche Wermut aus dem Schrank. „Willst du auch einen?“, fragte er.
„Warum nicht! Ist ja schließlich Medizin, oder?“
Hannes grinste, nach dem vierten ging es ihm besser.
Anne erschien in einem viel zu großen T-Shirt und schüttelte über den Zustand der Männer nur den Kopf. „Hast du was zum Essen im Haus?“, fragte sie und öffnete den Kühlschrank.
„In der Gemüseschublade liegt noch ein vakuumiertes Rinderfilet von Franz, sein Stier ist letzte Woche verreist“, antwortete Hannes.
„Im Garten wächst Kopfsalat“, riet Peter und setzte hinzu: „Ich könnte auch was vertragen, mach ruhig das ganze Filet!“
Nach einer knappen Stunde hatte Anne ein wunderbares Essen gezaubert, welches selbst Johann Lafer ein „wunderbar“ entlockt hätte. „Wie lange wird dieser Schönemann wohl einsitzen?“, fragte Peter schmatzend.
„Wahrscheinlich über zehn Jahre, schätze ich. Hoffentlich bekommt er nette Zellenkollegen, die würde ich ihm gönnen!“, antwortete Hannes zähneknirschend und dachte an die Zeit im Cafe Viereck zurück.
Es klingelte. Leicht genervt verließ Hannes seinen voll beladenen Teller und ging zur Tür. Es war Claire. „Hallo! Immer herein in die gute Stube“, begrüßte er sie, „Was macht Andreas? Wieso bist du eigentlich schon hier?“
Sie schluckte. „Es ist furchtbar! Er erkennt mich gar nicht. Dauernd faselt er von seinem Papi. Der ist doch mittlerweile fast ein halbes Jahr tot!“ Eine dicke Träne lief ihre Wange herunter.
„Nun geh erst mal rein“, forderte Hannes sie auf und schob sie bestimmt in die Küche. „Willst du etwas essen?“
„Danke, mir ist der Appetit vergangen. Er muss“, sie schniefte und wischte sich ein Gemisch aus verlaufener Mascara und Tränen mit dem Handrücken aus dem Gesicht. „Er muss verrückt geworden sein. Und die Ärzte haben ihn mir einfach weggenommen. Seine Hand, sie wissen nicht, ob sie noch zu retten ist. Er ist jetzt im OP, sie rufen mich an, wenn sie fertig sind. Es würde wohl einige Stunden dauern. Kann ich vielleicht solange hier bleiben?“
„Sicher. Nun setz dich.“
Peter hielt ihr ein großzügig gefülltes Schnapsglas mit Wermut hin. „Der wird schon wieder. Trinken Sie das, das hilft.“
Ohne eine Miene zu
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