Das Kreuz des Zitronenkraemers
das Brot mit den Händen zu zerreißen, er schaffte es aber nicht und begann schließlich, eine Ecke anzukauen. „Morgen komme ich übrigens auch nicht, du bist nicht der Einzige, um den ich mich kümmern muss“, gab Klinsmann bekannt. „Zu Essen hast du genug für zwei Tage, also teil es dir ein.“ Er beobachtete Andreas eine Weile beim Herunterschlingen der abgebissenen Brotstücke. Gut, dachte Andreas, morgen kommst du also nicht, dann hab ich ja ein bisschen Zeit und Ruhe. Laut sagte er: „Wie lange wollen Sie mich noch hier festhalten, wenn meine Frau wüsste, wo … “ Der Entführer ließ ihn nicht ausreden. „Deine Frau braucht nur ein bisschen mehr Überzeugungsarbeit, dann wird sie sich schon ein wenig mehr reinhängen.“ Sofort bekam Andreas wieder Angst, er legte Brot und Schinken beiseite. „Was meinen Sie damit?“, fragte er zögerlich. „Nun“, der Mann suchte nach den richtigen Worten, endlich sprach er weiter, „ich habe ihr ein kleines Geschenk versprochen, sozusagen ein Andenken an dich. So, dass sie sicher sein kann, dass ich dich auch wirklich habe.“ Er drehte sich um und griff erneut in die Tasche, dann steckte er sich mit dem Rücken zu Andreas etwas in die Hose. „Zeig mir deine Hände!“ Klinsmann hob Andreas die Hände in die Höhe. Dieser schrie vor Schmerz. Der Entführer nahm seinen Schlüsselbund aus der Hosentasche und sperrte mit einem kleinen unscheinbaren Schlüssel eine der Handschellen auf. Auf der Kiste lag die Tube mit der stinkenden Salbe. „Ich habe dir gesagt, du musst häufiger einreiben, dafür habe ich dir die Tube dagelassen!“ Er schimpfte mit Andreas, wie mit einem unerzogenen Kind und verteilte dabei behutsam die Salbe auf der Haut. Dann schloss er die Hand wieder ein und verfuhr mit der anderen genauso. „Was meinen Sie mit Andenken?“ Andreas hatte ein mulmiges Gefühl. Der Entführer hielt an Andreas Ringfinger inne. „Nun, ich habe mir gedacht“, er streichelte den Finger, Andreas zuckte zurück, doch der Mann hielt ganz fest, „dass deine Frau sich sicher freuen wird, deinen Ehering zu bekommen. Und damit sie auch weiß, dass es wirklich deiner ist am besten noch an deinem Finger, meinst du nicht auch?“ Er griff in seine andere Hosentasche und zog die Geflügelschere heraus. „Sie kennt doch sicher deine Finger, oder?“
Andreas starrte auf die Schere. In seiner Erinnerung hörte er Hühnerknochen knacken. Er wusste, dass sie mühelos auch einen kleinen menschlichen Fingerknochen abzwacken konnte. Andreas versuchte, zurückzuweichen, aber der Bundestrainer ließ nicht locker. „Jetzt hast du wohl Angst, was? Deine Hand ist ganz schwitzig.“ Er ließ los. Andreas kauerte sich an den Rand der Matratze. Der Schinken kullerte dumpf zu Boden, aber das war Andreas egal, sollten die Ratten ihn haben, ihm war der Appetit vergangen. „Heute noch nicht.“ Der Entführer packte die Schere wieder in die Tasche. „Übermorgen, wenn ich wiederkomme und die Schlampe von deiner Ehefrau ist immer noch nicht in die Pötte gekommen.“
Ohne ein weiteres Wort nahm er eine Flasche mit Öl aus der Tasche, füllte die Lampe auf, verschloss die Tasche und machte sich auf den Weg nach draußen. Andreas hielt die Luft an und wartete, bis er keine Schritte mehr hörte und die Tür in der Ferne ratternd zuschlug. Er wollte sich sofort zu seinem Messer aufmachen, hielt sich aber zurück. „Du musst Geduld haben“, flüsterte er in den leeren Raum. „Vielleicht kommt er noch mal zurück, du musst noch warten.“ Er bückte sich und hob den Schinken auf. Er riss ein paar Fetzen mit den Zähnen heraus und warf sie vor das Rattenloch. Schließlich hatten sie ihm das perfekte Versteck besorgt. Dann biss er sich selbst noch ein Stück ab und wartete.
Warten konnte er, das hatte er hier gelernt. Einfach nur dasitzen, noch nicht einmal nachdenken. Er saß stundenlang. Dann nahm er die Ketten und stand langsam auf. Er horchte. Da war nichts. Vor der Wand gegenüber ging er in die Knie. Er tastete den Boden an der Wand ab. Er fand das Loch sofort und griff hinein. Er spürte das Messer mit der Fingerspitze, aber er konnte es nicht greifen. Das Loch war zu eng für die Handschellen, er kam nicht weit genug hinein. Andreas blieb ganz ruhig. Er zog die Hand wieder heraus und versuchte die Handschelle weiter nach oben zu rutschen, so weit, bis es nicht mehr ging und sein Unterarm zu dick wurde. Er versuchte es erneut. Diesmal bekam er das Ende des Messers mit zwei
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