Das Kreuz des Zitronenkraemers
herausgefunden, wo sich deine Wohnung in diesem Haus befindet. Du hast ja kein Namensschild an der Tür.“
„Genau, sag ich doch, passt alles zusammen.“
„Anne?“ „Was?“ „Komm mal her, ich glaube, ich werde gleich verrückt. Grüße von Ambrosius.“ Anne hatte begonnen im Wohnzimmer hin und her zu laufen und blieb wie angewurzelt stehen. „Bist du jetzt übergeschnappt, wir versuchen doch gerade den Einbruch zu rekonstruieren.“ „Jetzt halt die Klappe und komm her!“ Anne trat an den Tisch heran. „Sieh mal, die letzten beiden Worte auf dieser Seite kann ich doch lesen. Es ist, glaube ich eine Unterschrift.“
Jetzt sah auch Anne es ganz deutlich. Dort stand fein säuberlich: Ambrosius Carove.
Ambrosius Carove, Teil IV
Am einunddreißigsten Tag nach dem Verlassen seines Heimatdorfes Lenno am Comer See überquerte Ambrosius Carove den Fluss Mosel über die alte Römerbrücke. Das Stadttor am anderen Ende der steinernen Brücke war noch offen. Dem Herrn sei Dank, denn es dämmerte bereits. Die Hörner der Wachen ertönten laut, als Ambrosius zusammen mit seinem Vater, Onkel und Giulia an seiner Seite in Trier einfuhr.
Hinter ihnen hörte Ambrosius die schweren Tore krachend zuschlagen.
Er atmete auf, sie hatten ihr Ziel noch vor Einbruch der Nacht erreicht. Jetzt mussten sie sich eine Herberge suchen.
Langsam bahnten sie sich ihren Weg durch die Gassen. Der Marktplatz war bereits geräumt und kaum eine Menschenseele zu sehen. Ambrosius bewunderte den farbigen Marktbrunnen in einer Ecke des Platzes. Frisches Wasser sprudelte aus ihm heraus. Sie ließen die Pferde trinken. Ambrosius wollte die Inschrift lesen, aber er konnte sie nicht übersetzen. Von seinem Onkel erfuhr er, dass die Tugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Starkmut und Mäßigung darin gepriesen wurden. In der Mitte des Marktplatzes erhob sich das Marktkreuz. Rings um den Platz befanden sich großartige Adelshöfe und Bürgerhäuser. Ambrosius bestaunte den mächtigen Arkadengiebel eines Gasthauses. Sie fanden eine kleine Herberge in einer engen Seitengasse hinter der Kirche St. Gangolph. Die Pferde kamen in einem Stall in der Nachbarschaft unter. Der Wirt kannte Onkel und Vater von ihrer letzten Reise und gab ihnen gern Quartier. Giulia bekam eine eigene Kammer. Morgen würde Ambrosius sie zum Kloster St. Irminen bringen. Seit Stunden hatte sie kein Wort mehr gesprochen. Auch zum Abendessen war sie nicht erschienen. Ohne Appetit löffelte Ambrosius Haferbrei in sich hinein.
Es erging ihm nicht besser als ihr. Aber er musste sich zusammenreißen.
Fasziniert hörte er seinem Onkel zu, der sich in dieser fremden und eckigen Sprache mit dem Wirt unterhielt. Ambrosius passte genau auf, denn auch er wollte diese Sprache erlernen.
Ambros erzählte später, welche Neuigkeiten ihm der Wirt offenbart hatte. Trier hatte schwere Zeiten durchgemacht. Abwechselnd wurde die Stadt von Franzosen und Spaniern überrannt. Erzbischof und Kurfürst Philipp Christoph von Sötern ist mit seinen mittlerweile 83 Jahren gesundheitlich angeschlagen und steht oft in politischer Kritik.
Seit Jahren betreibt er eine rigide Steuerpolitik, ständig braucht er Geld für seine Verwaltung und für die Vollendung des Baus der neuen kurfürstlichen Residenz in Koblenz, der Philippsburg bei Ehrenbreitstein. Außerdem vergibt er unverhohlen wichtige Ämter an Angehörige seiner eigenen Familie. Auch mit seiner frankreichfreundlichen Gesinnung stößt er mancherorts auf Gegenwehr. Der Klerus und die Klöster weigern sich, französische Besatzungstruppen bei sich aufzunehmen, die Bürger aber sind dazu verpflichtet.
„Hoffentlich lässt er uns überhaupt ein“, gab Thomas zu bedenken und biss in ein hartes Stück Brot. Morgen wollten sie das Palantium, die Residenz des Bischofs, aufsuchen.
Später in seiner Kammer konnte Ambrosius nicht schlafen. Viel zu aufgeregt war er, wenn er an den morgigen Tag dachte. Morgen musste er Abschied von Giulia nehmen, dann würde er hoffentlich den Erzbischof sehen. Außerdem wollten sie ihren Stand auf dem Marktplatz beziehen. Und in den Dom wollte er, um das Gewand Jesu zu sehen.
Immer wenn er gerade einzunicken dachte, wurde er vom Schlagen der Zimbel wieder geweckt. Zu nahe lag ihr Quartier an dem hohen Turm von St. Gangolph. Die Turmwachen schlugen die kleinen Glöckchen zu jeder vollen Stunde.
Unausgeschlafen und mürrisch hörte Ambrosius bei der einsetzenden Morgendämmerung endlich das Blasen der Flöten, mit denen
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