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Das kritische Finanzlexikon

Das kritische Finanzlexikon

Titel: Das kritische Finanzlexikon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Wierichs
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sondern höchst anfällig für irrationales Agieren (vgl. → Blasen und → homo oeconomicus ). Vor diesem Hintergrund muss man das Alleinstellungsmerkmal Börsenkurs für die Messung des Unternehmenswertes radikal infrage stellen (vgl. auch → Werte schaffen ). Die meisten Befürworter des shareholder value hingegen akzeptieren den Börsenkurs völlig kritiklos als singuläre Erfolgsgröße. Das kann man ja, wie alle schlichten Weisheiten, auch leicht vermitteln. Der Zusammenhang: Unternehmenserfolg = Kurssteigerung ist für jedermann (auch ohne einen Funken Sachkenntnis) nachvollziehbar.
    Im Endeffekt ist shareholder value letztlich nichts anderes als ein ultimativer Kniefall vor der Börse. Dies wiederum ist für die Finanzindustrie höchst erfreulich, wird hier doch ein positives Sentiment an den Kapitalmärkten erzeugt. Und so winken auch aus dieser Warte heraus weitere Provisionserträge und Handelsgewinne.
    In Deutschland wurde der Ansatz des shareholder value lange Zeit vor allem mit einer Person in Verbindung gebracht: dem damaligen Vorstandsvorsitzenden der Daimler Benz AG, Jürgen Schrempp. Der hatte eine Vision und unterbreitete Anfang 1998 auf der Detroit Motor Show dem seinerzeitigen Chrysler-Boss Robert Eaton einen Vorschlag: die Fusion von Deutschlands größtem Autobauer mit der Nummer drei der USA. Nach Schrempp sollte es eine »Hochzeit im Himmel« werden. Die Liebesbeziehung endete schließlich nach neun qualvollen Jahren. Eaton und Schrempp hatten nicht den shareholder value gesteigert, sondern shareholder destruction betrieben. Gemessen an ihren eigenen Maßstäben war das Ganze ein Desaster: Das fusionierte Unternehmen wies bei der Scheidung nur noch die Hälfte des Börsenwertes zum Zeitpunkt der Hochzeit auf.
    Statt sich also an einer einzigen, zudem fragwürdigen Kennzahl (Börsenkurs) zu orientieren, sollte man mehrdimensional an die Sache herangehen. In diesem Zusammenhang lohnt sich ein Blick auf den stakeholder value . Dieser Ansatz rückt alle Personen, die ein berechtigtes Interesse am Erfolg eines Unternehmens haben, in den Fokus – interne (Mitarbeiter, Management, Eigentümer etc.) ebenso wie externe (Lieferanten, Gläubiger, Kunden etc.). Ein Unternehmen kann, wie jedes komplexe Sozialgebilde, eben nur dann zu halbwegs gerechten Ergebnissen und Entscheidungen gelangen, wenn man einen Interessenausgleich schafft.

Staatspleite
    Griechenland verzeichnet einen Schuldenstand von etwa 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (→ BIP ). Der griechische Staat muss, wenn er Anleihen herausgibt, die nicht vom europäischen → Rettungsschirm garantiert werden, Zinsen von 8 bis 9 Prozent bieten. Beim → Rating befindet sich das Land auf Ramschniveau. Man redet immer noch von einer drohenden Staatspleite.
    Japan kommt auf eine Staatsverschuldung in Höhe von etwa 200 Prozent des BIP, Tendenz weiter steigend. Für japanische Anleihen kann man eine Rendite von höchstens 1 bis 2 Prozent erwarten. Beim Rating liegt das fernöstliche Land im guten A-Bereich. Die Schuldenentwicklung wird zwar kritisch gesehen, von einer möglichen Staatspleite spricht jedoch kein Mensch.
    Und auch die Vereinigten Staaten sind gar nicht so weit von der griechischen Staatsschuldenquote entfernt. Dennoch gilt das Land nach wie vor als vertrauenswürdiger ASchuldner.
    Irgendetwas stimmt hier nicht, denn pleite ist normalerweise derjenige, der überschuldet ist. Wachsen die Schulden über das wirtschaftliche Potenzial einer Person oder eines Landes hinaus, setzt der Überschuldungsprozess ein. Der führt normalerweise zu einer Pleite. Die gibt es jedoch bei Staaten nicht – zumindest nicht im Sinne einer Insolvenz (vgl. → Insolvenz, Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung ). Überschuldet können Staaten hingegen sein. Bei 100 Prozent oder 200 Prozent Staatsschulden im Verhältnis zum BIP würde man nach gängiger Lesart von einer »zu hohen« Verschuldung ausgehen. Diese Zahlen liegen schließlich deutlich über der im Vertrag von → Maastricht festgelegten 60-Prozent-Barriere. Aber warum droht den Griechen eine Staatspleite, den Japanern und Amerikanern jedoch nicht?
    Es gibt im Prinzip zwei Erklärungen für diesen Widerspruch. Zunächst einmal spielen viele psychologische Faktoren eine Rolle. Dies wird vor allem beim Beispiel USA deutlich. Die Vereinigten Staaten genießen immer noch die Vorzüge, die der Status einer wirtschaftlichen, politischen und militärischen Weltmacht mit sich bringt. Man traut den

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