Das kritische Finanzlexikon
Belangen unterstreicht, was inzwischen die Spatzen von den Dächern pfeifen: dass die Reichen nämlich immer reicher und die Armen immer ärmer werden.
Bei der Frage nach Ungleichheit spielen zwei Faktoren eine Schlüsselrolle – die Vermögensverteilung sowie die Einkommensverteilung in einer Volkswirtschaft. Zur Beurteilung des Ausmaßes an Ungleichverteilung kann man für beide Faktoren den Gini-Koeffizienten (Gini-Index) hinzuziehen.
Dieses statistische Maß wurde von dem italienischen Statistiker Corrado Gini (1884 – 1965) entwickelt. Bei extremer Ungleichverteilung ergibt sich ein Koeffizient von 1 (Indexwert 100), das gesamte Vermögen eines Landes befindet sich dann in der Hand einer einzigen Person. Der Koeffizient beziehungsweise Indexwert 0 spiegelt absolute Gleichverteilung wider – alle Personen haben hierbei den gleichen Anteil am Gesamtvermögen.
Nach einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, DIW Berlin, ist das Nettovermögen (Vermögen abzüglich Schulden) in Deutschland extrem ungerecht verteilt. Aus den Zahlen des DIW ergibt sich ein Gini-Koeffizient von 0,81 (Indexwert 81); dieser Wert liegt schon recht nahe an der maximalen Ungleichheitsgröße 1. Die Ermittlung des Gini-Koeffizienten ist recht mühsam, eine einfache grafische Umsetzung sagt jedoch genug aus:
Je stärker sich die Verteilungskurve nach rechts neigt, umso krasser sind die Verhältnisse. Man sieht dies in der Abbildung an den mit Pfeilen markierten Stellen: Mehr als 50 Prozent der Bevölkerung haben ein verschwindend geringes Vermögen (Die unteren 50 Prozent vereinigen 1,4 Prozent des Nettovermögens auf sich). Und 99,5 Prozent der Haushalte besitzen insgesamt 68,8 Prozent des Vermögens; um die Verteilungskurve zu schließen, kommt das restliche halbe Prozent mit einem Vermögensanteil von 31,2 Prozent noch hinzu. Das sind dann die Super-Privilegierten.
Ähnlich sieht es in der Schweiz und in Österreich aus. Der Gini-Koeffizient beim Vermögen liegt in diesen Ländern bei 0,8 (Schweiz) beziehungsweise 0,77 (Österreich).
Bei der Einkommensverteilung liegt in Deutschland ein Gini-Koeffizient von 0,25 (Indexwert 25) vor (Österreich 26, Schweiz 33). Auf den ersten Blick lässt dieser Wert ein relativ hohes Maß an Gleichverteilung vermuten. Bei genauerer Betrachtung der Struktur unserer Arbeitseinkünfte ergibt sich jedoch ein anderes Bild. Nach Forschungsergebnissen des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg Essen arbeitet in Deutschland fast jeder vierte Erwerbstätige für einen Stundenlohn von unter 9,15 Euro. (Die 9,15 Euro sind in Deutschland gemäß Definition der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) als Niedriglohnschwelle anzusehen, da sie dem Wert von zwei Dritteln des mittleren Stundenlohns entsprechen.) Im Niedriglohnsektor werden durchschnittlich 6,68 Euro (Westdeutschland) und 6,52 Euro (Ostdeutschland) pro Stunde bezahlt. Insgesamt 4,1 Millionen Beschäftigte verdienen weniger als 7,00 Euro brutto in den Stunden, 1,4 Millionen sogar weniger als 5,00 Euro – in Deutschland, dem Exportweltmeister und einem der reichsten Länder der Welt. Für solche Stundenlöhne würde ein Notar, Steuerberater oder Spitzenbeamter noch nicht einmal für wenige Minuten den Kugelschreiber schwingen. Völlig abstrus wird das Ganze, wenn man den 400 000-Dollar-Stundenlohn von sogenannten Hedgefonds-Spitzenmamanagern (vgl. → Schattenbanken ) hinzuzieht.
Aber nicht nur bei Arbeitseinkommen ergibt sich ein äußerst schiefes Bild. In Deutschland untersuchte das DIW Berlin auf der Basis des sozio-ökonomischen Panels (SOEP) die Veränderung des verfügbaren Einkommens der privaten Haushalte im Zehn-Jahres-Vergleich (2010 gegenüber 2000). 8 Das verfügbare Einkommen (vgl. auch → Y (Volkseinkommen )) ergibt sich dadurch, dass man die gesamten Einkünfte eines Haushalts, also Arbeitseinkommen, Mieteinnahmen, Einnahmen aus Kapitalanlagen etc. 9 addiert, davon die direkten Steuern (Einkommensteuer) und die Sozialversicherungsbeiträge abzieht und die sogenannten Transferzahlungen an private Haushalte (z.B. Arbeitslosengeld II, Elterngeld, Kindergeld) hinzuaddiert. Die Haushalte wurden vom DIW in zehn Einkommensgruppen unterteilt. Die unteren fünf der zehn Gruppen verzeichneten ausnahmslos Einkommensverluste – mit unterschiedlichen Prozentwerten. Die ärmste Gruppe musste Rückgänge von mehr als 10 Prozent hinnehmen, die Gruppe im
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