Das kritische Finanzlexikon
gemeinsamer Kredit geht mir zu weit. Da weiß ich, dass sofort eine höhere Zinsbelastung auf mich zukommt. Um Josef zu helfen, wäre ich eher für eine Bürgschaft, die wir gemeinsam abgeben. Dann kriegt Josef leichter und auch zu einigermaßen guten Konditionen einen Kredit. Und wir anderen werden nicht sofort zusätzlich belastet. Außer, wenn Josef nicht bezahlt. Aber da bin ich optimistisch; Josef schafft das schon. Wir helfen ihm bei der Planung seiner Ausgaben. Er muss halt noch mehr sparen. Auch dadurch wird seine Kreditwürdigkeit besser.«
Es wird bis in die Nacht hinein heftig diskutiert. Man trennt sich gegen 2 Uhr, ohne zu einer Lösung gekommen zu sein.
Souveräne Staaten, die sich zu einer Art Schicksalsgemeinschaft zusammengeschlossen haben (EU respektive Euro-Währungsverbund), befürchten, dass einigen von ihnen finanziell die Luft auszugehen droht. Die von Jan Berger vorgeschlagene Lösung geht in Richtung Rettungsschirm; der bürgt für hoch verschuldete und wirtschaftlich schwache Staaten, wenn diese neue Kredite aufnehmen müssen. Nur so können schwache Staaten überhaupt noch frisches Geld zu akzeptablen Konditionen erhalten. Erst wenn die Schulden nicht mehr zurückgezahlt werden können, müssen die Bürgen finanziell für die Verbindlichkeiten einstehen.
Eurobonds gehen über die Idee eines Rettungsschirmes hinaus. Hier würden die Staaten gemeinsam Schulden aufnehmen. Vorteil: Europa würde als starke, solidarische Schuldengemeinschaft am Kapitalmarkt auftreten. Dann würde nicht das passieren, was Jan Berger mit seiner Bonitätsklasse 4 droht: eine Bonitätsherabstufung und damit höhere Zinsbelastungen. Für zehnjährige Staatsanleihen zahlte Griechenland im September 2011 fast 20 Prozent, Portugal mehr als 10 Prozent, während Deutschland als Primus nur 3 Prozent Kreditzinsen aufbringen musste. Ein Jahr später hatten sich die Zinssätze teilweise zwar wieder etwas angeglichen, aber das grundsätzliche Problem bleibt: Ein Melange-Zins der Euroländer muss irgendwie zwischen den mehr oder weniger breit gestreuten Zinssätzen der einzelnen Länder liegen.
Die Möglichkeit einer Einführung von Eurobonds wurde schon diskutiert, ehe sich 25 der 27 EU-Staaten (Großbritannien und Tschechien zogen nicht mit) im sogenannten »Fiskalpakt« zu strenger Haushaltsdisziplin verpflichteten. Dort spielen Eurobonds aber eine ganz wichtige Rolle. Das komplexe Vertragswerk, dessen vierseitige Präambel schwülstige Formulierungen wie: »In dem Bewusstsein der Verpflichtung …«, »eingedenk dessen, dass …«, »unter Bekundung …« enthält, sieht eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild vor. Das Haushaltsdefizit eines Staates soll – und diese Regelung ist deutlich schärfer als die Vorschrift im Vertrag von → Maastricht – maximal 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (→ BIP ) betragen. Liegt die Staatsverschuldung über 60 Prozent des BIP, müssen die Schulden jährlich um 5 Prozent reduziert werden.
Der Fiskalpakt beruht auf zwei Säulen. Erste Säule ist die Kontrolle der Fiskalpolitik eines Landes durch europäische Institutionen. Die Fiskalpolitik umfasst alle Maßnahmen eines Staates zur Beeinflussung der Konjunktur über die Steuerung von Staatseinnahmen und -ausgaben. Eine gemeinsame EU-Fiskalpolitik bringt, so die aus dieser Säule des Fiskalpakts resultierende Konsequenz, für alle Beteiligten eine Abkehr vom Prinzip der Souveränität in Bezug auf die Ausgestaltung des nationalen Staatshaushaltes mit sich. So wie es sich Josef Keller gefallen lassen muss, dass man in seine Haushaltsausgaben Einblick nimmt und dass die eine oder andere, für ihn sinnvolle Ausgabe aus Gründen des Spardiktats im Musikantenviertel eventuell gestrichen wird, sehen sich die Parlamente der Euroländer durch den Fiskalpakt bezüglich ihres finanziellen Handlungsspielraums in die Ecke gedrängt.
Als zweite Säule des Fiskalpakts kommt die Möglichkeit einer Vergemeinschaftung von Schulden, zum Beispiel über Eurobonds, hinzu. Bezüglich dieser Frage stoßen sich die »reichen« Länder, allen voran Deutschland, vor allem an den zu erwartenden höheren Kreditkosten; so wie es Jan Berger aus dem Musikantenviertel tut. Die Widerstände waren bisher so stark, dass eine Gemeinschaftshaftung in Deutschland vorerst abgeschmettert wurde. Und von einer gemeinsamen Haushaltspolitik sind wir in Europa natürlich auch noch weit entfernt.
Aufgrund der harschen Kritik, die dem ab 2013 in Kraft tretenden
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