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Das Kultur-Spiel

Das Kultur-Spiel

Titel: Das Kultur-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Er sah sich das Lumpenbündel genauer an. Es bewegte sich ein bisschen. Die Person hatte sich unter zerfetzten Decken zusammengerollt, der Kopf ruhte auf einem schmutzigen Sack. Gurgeh konnte nicht sagen, welchem Geschlecht sie angehörte; die Lumpen gaben keinen Hinweis.
    »Schsch«, warnte der Roboter, als Gurgeh den Mund zum Sprechen öffnete. »Das ist nur ein Tagedieb. Pequil sprach davon – jemand, der von seinem Land vertrieben wurde. Er hat getrunken; der Geruch rührt teilweise daher, der Rest stammt von ihm.« Erst jetzt nahm Gurgeh den Gestank wahr, der von dem still schlafenden Mann aufstieg. Er würgte.
    »Lassen Sie ihn in Ruhe«, sagte Flere-Imsaho.
    Sie verließen die Gasse. Gurgeh musste über zwei weitere schlafende Leute wegsteigen. Die Straße, auf die sie kamen, war trübe und stank nach etwas, von dem Gurgeh argwöhnte, es könne Essen sein. Ein paar Leute waren unterwegs. »Bücken Sie sich ein bisschen«, sagte der Roboter. »Man kann Sie in dieser Kleidung für einen Minan-Jünger halten, aber lassen Sie die Kapuze nicht fallen und richten Sie sich nicht auf.«
    Gurgeh tat, wie ihm geheißen wurde.
    Während er unter dem trüben, körnigen, flackernden Licht einzeln stehender monochromer Straßenlaternen weiterging, sah er eine Gestalt, die wie ein weiterer Betrunkener wirkte, an einer Mauer liegen. Eine Blutlache hatte sich zwischen den Beinen des Apex gebildet, und ein dunkler, getrockneter Strom von Blut war aus seinem Kopf gesickert. Gurgeh blieb stehen.
    »Kümmern Sie sich nicht um ihn«, ertönte die dünne Stimme. »Er stirbt. Wahrscheinlich war es ein Kampf. Die Polizei kommt nicht allzu oft hierher. Und es ist unwahrscheinlich, dass irgendwer ärztliche Hilfe rufen wird. Denn er müsste die Behandlung selbst bezahlen, weil der Apex offensichtlich ausgeraubt worden ist.«
    Gurgeh hielt Umschau, aber niemand war in der Nähe. Die Lider des Apex flatterten kurz, als versuche er, die Augen zu öffnen.
    Das Flattern hörte auf.
    »Da«, sagte Flere-Imsaho leise.
    Gurgeh ging weiter die Straße hinauf. Schreie kamen von hoch oben aus einem schmutzigen Wohnblock auf der anderen Seite. »Das ist nur ein Apex, der seine Frau verprügelt. Wissen Sie, dass man jahrtausendelang glaubte, Frauen hätten keinen Einfluss auf die Erbmasse der Kinder, die sie austragen? Seit fünfhundert Jahren weiß man jetzt, dass es doch so ist; das Analogon einer Virus-DNS verändert die Gene, mit denen eine Frau geschwängert wird. Trotzdem gelten Frauen dem Gesetz nach nur als Besitz. Die Strafe für die Ermordung einer Frau ist für einen Apex ein Jahr Zwangsarbeit. Eine Frau, die einen Apex tötet, wird während mehrerer Tage zu Tode gefoltert. Tod durch Chemikalien. Soll eine der schlimmsten Todesarten sein. Nicht stehen bleiben.«
    Sie kamen an eine Kreuzung mit einer belebteren Straße. Ein Mann stand an der Ecke und rief etwas in einem Dialekt, den Gurgeh nicht verstand. »Er verkauft Eintrittskarten für eine Hinrichtung«, erklärte der Roboter. Gurgeh hob die Augenbrauen, drehte den Kopf um eine Winzigkeit. »Das ist mein Ernst«, versicherte Flere-Imsaho. Gurgeh schüttelte trotzdem den Kopf.
    Eine Menschenmenge füllte die Mitte der Straße. Der Verkehr – nur die Hälfte davon motorisiert, der Rest von Menschenkraft bewegt – war gezwungen, auf die Bürgersteige auszuweichen. Gurgeh schloss sich der Menge an, weil er meinte, bei seiner Größe könne er auch von hinten sehen, was los sei. Aber er stellte fest, dass die Leute ihm Platz machten, und so geriet er weiter in die Mitte.
    Mehrere junge Apices misshandelten einen alten Mann, der am Boden lag. Die Apices trugen eine Uniform seltsamer Art, doch irgendwie erkannte Gurgeh, dass es keine offizielle Uniform war. Sie traten den alten Mann mit gezielter Wildheit, als sei der Angriff ein Wettbewerb in einem Ballett des Schmerzes, und sie würden ebenso nach dem künstlerischen Eindruck wie nach der Qual und den körperlichen Verletzungen, die sie erzeugten, beurteilt.
    »Falls Sie denken sollten, das sei irgendwie Theater«, flüsterte Flere-Imsaho, »täuschen Sie sich. Die Zuschauer haben auch nicht dafür bezahlt. Da wird einfach ein alter Mann zusammengeschlagen, wahrscheinlich nur, weil es ihnen Spaß macht, und diese Leute möchten lieber zusehen, als irgendetwas tun, um dem Einhalt zu gebieten.«
    Bei diesen Worten wurde Gurgeh gewahr, dass er in der vorderen Reihe der Menge angelangt war. Zwei der jungen Apices blickten zu ihm hoch.
    Als

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