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Das Kultur-Spiel

Das Kultur-Spiel

Titel: Das Kultur-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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sei es eine rein theoretische Frage, überlegte Gurgeh, was nun passieren werde. Die beiden Apices schrien ihm etwas zu, dann drehten sie sich um und machten ihre Gefährten auf ihn aufmerksam. Es waren sechs. Sie alle standen da – sie ignorierten den wimmernden Mann auf dem Boden hinter ihnen – und sahen Gurgeh unverwandt an. Einer von ihnen, der größte, öffnete seine leichte, mit Metallteilen verzierte Hose und holte die halbschlaffe Vagina in ihrer nach außen gekehrten Position heraus. Mit breitem Grinsen zeigte er sie erst Gurgeh, dann schwenkte er sie in Richtung der Menschenmenge.
    Mehr nicht. Die jungen, identisch gekleideten Apices grinsten die Leute eine Weile an, dann gingen sie einfach davon. Jeder trat, als sei es Zufall, auf den Kopf des zusammengebrochenen alten Mannes am Boden.
    Die Menge fing an, sich aufzulösen. Der alte Mann lag auf der Fahrbahn, von Blut überströmt. Ein Stück grauen Knochens stach durch den Ärmel seines zerlumpten Mantels, und neben seinem Kopf lagen Zähne auf der Straße verstreut. Ein Bein sah seltsam aus, der Fuß war auswärts gedreht und wirkte leblos.
    Er stöhnte. Gurgeh trat näher und wollte sich bücken.
    »Berühren Sie ihn nicht!«
    Die Stimme des Roboters hielt Gurgeh auf, als sei er gegen eine Ziegelmauer gerannt. »Wenn einer dieser Leute Ihre Hände oder Ihr Gesicht sieht, sind Sie tot. Sie haben die falsche Farbe, Gurgeh. Hören Sie zu: Jedes Jahr werden immer noch ein paar hundert dunkelhäutige Babies geboren, da die Gene nicht ganz ausgerottet sind. Sie sollen erwürgt und die Leichen gegen eine Prämie dem Eugenischen Rat vorgelegt werden, aber ein paar Leute riskieren den Tod und ziehen sie groß, bleichen ihnen die Haut, wenn sie älter werden. Wenn man sie für einen dieser Menschen hält, noch dazu im Mantel eines Minan-Jüngers, wird man Ihnen bei lebendigem Leib die Haut abziehen.«
    Gurgeh wich zurück, hielt den Kopf gesenkt und stolperte davon.
    Der Roboter zeigte ihm Prostituierte – zumeist Frauen –, die ihre sexuelle Gunst für Minuten, Stunden oder die ganze Nacht an Apices verkauften. In manchen Teilen der Stadt, berichtete der Roboter, während sie durch dunkle Straßen wanderten, gab es Apices, die Glieder verloren hatten und es sich nicht leisten konnten, sich Arme und Beine einsetzen zu lassen, die man Kriminellen amputierte. Diese Apices vermieteten ihre Körper an Männer.
    Gurgeh sah viele Krüppel. Sie saßen an Straßenecken, verkauften Kinkerlitzchen, machten Musik auf kratzenden, quietschenden Instrumenten oder bettelten einfach. Manche waren blind, manche hatten keine Arme, manche hatten keine Beine. Gurgeh sah sich die beschädigten Leute an, und ihm wurde schwindelig; die körnige Straßenoberfläche unter ihm schien zu kippen und zu wogen. Für einen Augenblick war es, als drehe sich die Stadt, der Planet, das ganze Imperium in einem hektischen Durcheinander von albtraumhaften Gestalten um ihn, eine Konstellation aus Leiden und Qual, ein höllischer Tanz aus Agonie und Verstümmelung.
    Sie kamen an geschmacklosen Läden mit buntem Schund, Staatsmonopol-Drogen und Alkohol vorbei, Ständen mit religiösen Statuen, Büchern, Artefakten und Zubehör für Zeremonien, Kiosken mit Eintrittskarten für Hinrichtungen, Amputationen, Foltern und öffentliche Vergewaltigungen – meistens verlorene Azad-Wetten – und an Händlern mit Lotterielosen, Bordell-Tickets und schwarzen Drogen. Ein Bodenwagen voller Polizisten näherte sich, die Nachtpatrouille. Einige der Händler flitzten in Seitengassen, und zwei Kioske knallten plötzlich die Läden zu, als der Wagen vorbeifuhr, öffneten danach jedoch sofort wieder.
    In einem kleinen Park fanden sie einen Apex mit zwei heruntergekommenen Männern und einer krank wirkenden Frau an langen Leinen. Er versuchte, ihnen Kunststückchen beizubringen, die sie immer wieder falsch machten. Eine Menschenmenge sah lachend ihren Possen zu. Der Roboter erzählte, die drei Menschen seien fast sicher geisteskrank und hätten niemanden, der ihre Unterbringung in einem Irrenhaus bezahle. Deshalb hatte man ihnen die Bürgerrechte genommen und sie an den Apex verkauft. Die kläglichen Gestalten bemühten sich, an Laternenpfählen hochzuklettern und Pyramiden zu bilden. Gurgeh sah eine Weile zu, dann wandte er sich ab. Der Roboter sagte, einer von zehn Menschen, an denen er auf der Straße vorbeikomme, sei an irgendeinem Punkt seines Lebens wegen einer Geisteskrankheit behandelt worden. Die Zahl war

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