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Das Kultur-Spiel

Das Kultur-Spiel

Titel: Das Kultur-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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überfüllt. Ungeachtet der Tatsache, dass Chiark ein ziemlich neues Orbital war, nur etwa tausend Jahre alt, war Tronze beinahe schon ebenso groß, wie eine Gemeinde auf einem Orbital überhaupt werden konnte. Die wirklichen Großstädte der Kultur waren ihre riesigen Schiffe, die Systemfahrzeuge. Orbitale waren ihre ländliche Provinz, wo die Leute es liebten, sich mit viel Platz für die Ellbogen auszubreiten. Im Vergleich zu den größeren Systemfahrzeugen, auf denen Milliarden von Leuten lebten, war Tronze kaum ein Dorf zu nennen.
    Gurgeh hörte sich in Tronze für gewöhnlich das ›Konzert des vierundsechzigsten Tages‹ an. Und für gewöhnlich drängten sich ihm Enthusiasten auf. Gurgeh war eigentlich ein höflicher, wenn auch manchmal etwas kurz angebundener Mensch. Doch jetzt, nach dem Fiasko im Zug und dieser seltsamen, erregenden, beschämenden Emotion, die in ihm aufgestiegen war, als er des Betruges verdächtigt wurde, ganz zu schweigen von einer leichten Nervosität, weil er gehört hatte, das Mädchen von dem Systemfahrzeug Kargo Kult sei tatsächlich heute Abend hier in Tronze und freue sich darauf, ihn kennen zu lernen – jetzt war er nicht in der Stimmung, Idioten lächelnd zu tolerieren.
    Nicht etwa, dass der unglückliche junge Mann notwendigerweise ein Trottel gewesen wäre. Er hatte schließlich nur umrissen, was, alles in allem, gar keine schlechte Idee für ein Spiel war. Aber Gurgeh war wie eine Lawine über ihn hereingebrochen. Das Gespräch – falls man es so nennen konnte – war zu einem Spiel geworden.
    Der Trick war, am Reden zu bleiben, nicht ununterbrochen zu sprechen, was jeder Schwachkopf kann, sondern nur dann eine Pause zu machen, wenn der junge Mann kein Zeichen gab, dass er ihm ins Wort fallen wollte, sei es durch eine Körperbewegung, ein Verziehen des Gesichts oder das tatsächliche Ansetzen zu einer Erwiderung. Stattdessen hörte Gurgeh unerwartet mitten in einer Darlegung auf oder nachdem er soeben etwas gesagt hatte, das ein bisschen beleidigend war, wobei er aber den Eindruck erweckte, dass er fortfahren werde. Außerdem zitierte Gurgeh beinahe wortwörtlich aus einem seiner berühmteren Artikel über Spieltheorie, eine zusätzliche Beleidigung, da der junge Mann den Text wahrscheinlich ebenso gut kannte wie er selbst.
    »Davon auszugehen«, hob Gurgeh von neuem an, als der Mund des jungen Mannes sich wieder zu öffnen begann, »dass man das Element des Glückes, der Chance, des Zufalls im Leben entfernen könne, indem man…«
    »Jernau Gurgeh, ich unterbreche doch nicht irgendetwas Wichtiges, oder?«, fragte Mawhrin-Skel.
    »Nichts Besonderes.« Gurgeh wandte sich der kleinen Maschine zu. »Wie geht es Ihnen, Mawhrin-Skel? Haben Sie wieder etwas angestellt?«
    »Nichts Besonderes«, wiederholte der kleine Roboter. Der junge Mann, zu dem Gurgeh gesprochen hatte, verdrückte sich. Gurgeh saß unter einer von Schlingpflanzen überwachsenen Pergola dicht an dem einen Rand der Plaza in der Nähe der Beobachtungsplattformen, die über den breiten Vorhang des Wasserfalls hinausragten. Gischt stieg von den Stromschnellen zwischen dem See und dem senkrechten Absturz zu dem einen Kilometer tiefer liegenden Wald auf. Das Donnern des Wassers lieferte ein Hintergrundgeräusch wie von weißem Rauschen.
    »Ich habe Ihre junge Gegnerin gefunden«, verkündete der kleine Roboter. Er fuhr ein in weichem Blau schimmerndes Feld aus und pflückte eine Nachtblüte von einer Ranke.
    »Hmm?«, machte Gurgeh. »Ach, die kleine… äh… Abräum- Spielerin?«
    »So ist es«, erwiderte Mawhrin-Skel gleichmütig, »die kleine… äh… Abräum- Spielerin.« Er klappte Blütenblätter zurück und drückte sie an den Stängel.
    »Ich habe schon gehört, sie sei hier«, sagte Gurgeh.
    »Sie ist an Hafflis’ Tisch. Sollen wir hingehen und uns mit ihr bekannt machen?«
    »Warum nicht?« Gurgeh stand auf. Die Maschine schwebte davon.
    Sie bahnten sich einen Weg durch die Menge zu einer der Terrassen, die auf der Höhe des Sees lagen. Dort befand sich Hafflis’ Wohnung. »Nervös?«, fragte Mawhrin-Skel.
    »Nervös?«, fragte Gurgeh zurück. »Eines Kindes wegen?«
    Einen oder zwei Augenblicke flog Mawhrin-Skel schweigend weiter. Gurgeh stieg ein paar Stufen hoch, nickte und sagte »Hallo« zu ein paar Leuten. Dann rückte die Maschine näher an ihn heran und fragte leise, während sie der sterbenden Blüte langsam die Blätter ausriss: »Wollen Sie mir Ihre Pulszahl, Ihren Hautempfindlichkeitsgrad,

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