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Das Kultur-Spiel

Das Kultur-Spiel

Titel: Das Kultur-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Hälfte, die eigentlich Gurgeh gehörte. Als sie vor einer Stunde in einen Tunnel eingefahren waren, hätte ein Windstoß beinahe ein paar der leichteren Karten weggeblasen, und sie hatten sie mit Trinkbechern und Briefbeschwerern aus Bleikristall fixiert. Dies trug ebenso zu dem chaotischen Eindruck bei wie Mr. Dreitrams wunderliche, um nicht zu sagen affektierte Gewohnheit, jeden Zug handschriftlich auf einem Notizblock festzuhalten. Er behauptete, einmal erlebt zu haben, dass der dem Brett eingebaute Gedächtnisspeicher versagte, sodass ihm die Aufzeichnung eines seiner besten Spiele verloren gegangen war. Gurgeh fing an, Gegenstände und Figuren hochzuheben. Er summte vor sich hin und suchte nach der flachen Wählscheibe.
    Hinter ihm holte jemand scharf Atem, und dann folgte etwas, das sich nach einem verlegenen Husten anhörte. Gurgeh drehte sich um und entdeckte Mr. Dreitram, der ganz merkwürdig dreinblickte. Gurgeh sah ihn stirnrunzelnd an. Die Augen Mr. Dreitrams, der gerade von der Toilette zurückkehrte, waren groß aufgrund der Drogenmischung, die er drüste. Ihm folgte ein Tablett mit Gläsern. Er setzte sich wieder und starrte auf Gurgehs Hände.
    Erst da, als das Tablett die Gläser auf den Tisch stellte, erkannte Gurgeh, dass die Karten, die er auf der Suche nach der Wählscheibe für seine versteckte Figur hochgenommen hatte und jetzt in der Hand hielt, Mr. Dreitrams noch übrige Minenkarten waren. Gurgeh sah sie sich an – sie kehrten ihm immer noch die Rückseite zu; er hatte nicht gesehen, wo die Minen lagen – und erkannte, was Mr. Dreltram denken musste.
    Er legte die Karten dahin, wo er sie gefunden hatte. »Es tut mir sehr Leid«, sagte er lachend, »ich suchte nach meiner versteckten Figur.«
    Als er das sagte, sah er sie. Die runde Wählscheibe lag offen beinahe genau vor ihm auf dem Tisch. »Ah«, sagte er und spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg. »Da ist sie. Hmm. Kaum zu glauben, ich habe sie übersehen.«
    Wieder lachte er, und dabei verkrampften sich seine Eingeweide in einem Gefühl, das irgendwo zwischen Entsetzen und Ekstase lag. Etwas Derartiges hatte er noch nie empfunden. Am ähnlichsten kam dem noch – er erkannte es mit plötzlicher Klarheit – der erste Orgasmus, den er als Junge unter den Händen eines Mädchens, ein paar Jahre älter als er, gehabt hatte. So primitiv, so urmenschentümlich dieses erste Mal gewesen war, als versuche ein einziges Instrument mühsam Note für Note ein einfaches Thema zu spielen – verglichen mit den Drogendrüsen-Symphonien, zu denen der Sex später wurde –, es gehörte doch zu seinen denkwürdigsten Erlebnissen, nicht nur, weil es damals an sich etwas Neues gewesen war, sondern weil es ihm eine ganz neue, faszinierende Welt eröffnete, eine völlig andere Art des Empfindens und des Seins. Das Gleiche war es bei seinem ersten Turnier gewesen, als er, noch ein Kind, Chiark gegen das Junior-Team eines anderen Orbitals vertreten hatte, und dann noch einmal, ein paar Jahre nach der Pubertät, als seine Drogendrüsen reiften.
    Mr. Dreitram lachte ebenfalls und wischte sich das Gesicht mit dem Taschentuch ab.
     
    Gurgeh spielte während der nächsten paar Züge wütend. Sein Gegner musste ihn darauf aufmerksam machen, dass der achtzigste Zug erreicht war. Gurgeh drehte seine versteckte Figur um, ohne erst nachzusehen, und riskierte, dass sie dasselbe Feld wie eine seiner offenen Figuren besetzte.
    Die versteckte Figur tauchte – eine Chance von eintausendsechshundert zu eins – an derselben Position wie das Herz auf, die Figur, um die es bei dem ganzen Spiel geht, die Figur, die der Gegner in seinen Besitz zu bringen trachtet.
    Gurgeh starrte das Feld an, auf dem sein erfolgreich verteidigtes Herz stand, dann wieder die Koordinaten, die er zwei Stunden zuvor aufs Geratewohl auf der Wählscheibe eingestellt hatte. Es waren die Gleichen, daran gab es keinen Zweifel. Hätte er einen Zug früher nachgesehen, wäre es ihm möglich gewesen, das Herz außer Gefahr zu bringen, aber er hatte es nicht getan. Er hatte beide Figuren verloren. Wenn das Herz verloren war, war das Spiel verloren; er hatte das Spiel verloren.
    »Oh, so ein Pech.« Mr. Dreitram räusperte sich.
    Gurgeh nickte. »Ich glaube, es ist Brauch, dass der geschlagene Spieler bei einer solchen Katastrophe das Herz als Andenken behalten darf.« Er nahm die verlorene Figur in die Hand.
    »Hm… davon habe ich auch schon gehört.« Mr. Dreitram war offensichtlich gleichzeitig

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