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Das Kultur-Spiel

Das Kultur-Spiel

Titel: Das Kultur-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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er sprang die letzten Meter und landete mit beiden Füßen direkt neben der Stelle, wo das Tier gestürzt war; es rappelte sich im letzten Moment auf, raste unversehrt davon und verschwand in einem Loch. Er lachte, atmete heftig und schwitzte. Er stand gebeugt da, die Hände auf den Knien, und versuchte, wieder zu Atem zu kommen.
    Etwas bewegte sich unter seinen Füßen. Er sah es, spürte es.
    Unter ihm war ein Nest. Er war direkt darauf gesprungen. Die Eier, deren gesprenkelte Schalen zerdrückt waren, ergossen ihren flüssigen Inhalt über seine Stiefelabsätze und ins Moos und die Zweige am Boden.
    Er bewegte den Fuß, im Herzen zutiefst betrübt. Etwas Schwarzes krabbelte darunter. Es kroch in den Sonnenschein; ein schwarzer Kopf und Hals; ein schwarzes Auge starrte zu ihm hoch, hell und hart wie ein Flusskiesel am Grund eines Baches. Der Vogel zappelte, sodass er ein wenig zurücksprang, als ob er mit nackten Füßen auf etwas Stacheligem gelandet wäre; der Vogel flatterte hilflos hinaus aufs Moorgras, auf einem Fuß hüpfend, einen schlaffen Flügel hinter sich herschleifend. Dann blieb er in geringer Entfernung stehen, die Seite dem Mann zugewandt, und neigte den Kopf; anscheinend sah er ihn an.
    Er wischte sich den Stiefel am Moos ab. Alle Eier waren zertreten. Der Vogel gab einen leisen Klagelaut von sich. Er wandte sich ab und entfernte sich ein paar Schritte, dann blieb er stehen, fluchte, ging die kurze Strecke zurück und stapfte hinter dem Vogel her, den er mühelos in einem Durcheinander aus Gekreische und Federgestöber einfing.
    Er drehte ihm den Hals um und warf die schlaffen Überreste ins Gras. An diesem Abend hörte er auf, sein Tagebuch zu führen, und fing nie wieder damit an. Das Wetter wurde schwül und drückend, und es fiel kein Regen. Eines Tages winkte ihm der Mann mit dem Drachen und rief ihm vom Gipfel eines Hügels etwas zu; er rannte davon, Schweiß brach ihm aus.
    Zehn Tage oder so nach dem Vorfall mit dem Vogel gestand er sich selbst ein, dass er nie ein Poet sein würde.
    Ein paar Tage später reiste er ab, und man hat nie wieder von ihm gehört, obwohl der Sheriff des Gutsherrn in jeder Stadt des Landes den Steckbrief des Fremden verbreiten ließ, denn dieser stand in dem Verdacht, in ein Verbrechen verwickelt gewesen zu sein, das sich in der Nacht seines Aufbruchs abgespielt hatte und nach dem der Aufseher auf dem Anwesen des Gutsherrn erdrosselt im Bett gefunden worden war; sein Gesicht war in einem Ausdruck finstersten Entsetzens erstarrt, und sein Mund und seine Kehle waren ausgestopft mit getrockneten Menschenzungen und Fetzen unbeschriebenen Papiers, an denen er erstickt war.

 
Neun
     
     
    Er schlief bis nach dem Morgengrauen, dann unternahm er einen Spaziergang, um nachzudenken. Er verließ das Gebäude durch den Lieferantentunnel, der vom Haupttrakt des Hotels zu dem Anbau führte, und ließ die dunkle Brille in der Tasche. Die Hotelreinigung hatte seinen alten Regenmantel gesäubert; er zog ihn an, ebenso ein Paar dicke Handschuhe, und band sich einen Schal um den Hals.
    Er ging vorsichtig auf tauwasserfeuchten Gehsteigen unter tropfenden Dächern an beheizten Straßen entlang und legte ab und zu den Kopf in den Nacken, um zum Himmel hinaufzublicken. Sein Atemhauch schwebte ihm voraus. Kleine Schneemengen plumpsten von Gebäuden und Drähten, als der schwache Sonnenschein und eine milde Brise die Temperatur ansteigen ließen. In den Rinnsteinen flossen klares Wasser und aufgeweichte Klumpen holpernden Schneematsches; aus Rohren an den Gebäuden tropfte Schmelzwasser, und wenn ein Fahrzeug vorbeifuhr, tat es das mit einem nassen Zischen. Er überquerte die Straße zur anderen Seite, die von der Sonne beschienen war.
    Er stieg Treppen hinauf und schritt über Brücken, er ging mit äußerster Vorsicht über vereiste Stellen, wo es keine Beheizung gab oder wo sie versagte. Er wünschte, er hätte sich bessere Stiefel angezogen; diese sahen zwar gut aus, doch ihre Sohle war nicht griffig genug. Um nicht hinzufallen, musste man damit wie ein alter Mann gehen, mit gespreizten Händen, als ob man versuchte, nach einem Stock zu greifen, nach vorn gebeugt, obwohl man lieber mit durchgedrücktem Rücken gegangen wäre. Das ärgerte ihn, doch ohne Berücksichtigung der veränderten Bedingungen einfach dahin zu spazieren und auszurutschen und auf dem Hinterteil zu landen, erschien ihm noch weniger verlockend.
    Als er tatsächlich hinfiel, geschah das vor einigen jungen Leuten.

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