Das Kumo-Kartell
Blondine mit porzellanfarbener Haut verwandelt, die dank gefärbter Kontaktlinsen blaue Augen besaß. Deshalb hatte sie auch sorglos in die Überwachungskameras in Saitos Haus blicken können.
Henry Noguchi beendete seine Mittagspause und machte sich auf den Weg zurück an seinen Arbeitsplatz – wie jeden Tag mit einem Becher Kaffee vom Kaffeestand in der Hand.
Yuki kreuzte seinen Weg, sodass sie beinahe mit ihm zusammenstieß. Sie lächelte und entschuldigte sich wortreich, ehe sie ihres Weges zog. Dass sie ihm Gift in den Kaffee getan hatte, hatte weder er noch einer seiner Bewacher bemerkt. Das Gift würde seine volle Wirkung in ungefähr dreißig Minuten entfalten. Zeit genug für sie, ihre Verkleidung zu wechseln und als brünette Journalistin getarnt zu dem Termin zu erscheinen, den sie schon vor Tagen mit Noguchi vereinbart hatte.
*
Zwanzig Minuten später führte Noguchis Sekretärin die vermeintliche Journalistin ins Büro ihres Chefs. Noguchi hatte bereits die Krawatte abgelegt und sowohl das Fenster wie auch den obersten Kragenknopf geöffnet. Auf seiner Stirn schimmerte Schweiß. Trotzdem begrüßte er seine Besucherin formvollendet.
»Bitte nehmen Sie Platz, Miss Johnson. Tee, Kaffee? Oder etwas Stärkeres?«
»Danke, nein. Ich möchte Ihre kostbare Zeit nicht länger in Anspruch nehmen als nötig.«
Vor allem konnte sie keine Sekretärin gebrauchen, die in ein paar Minuten hereinkäme, um das bestellte Getränk zu servieren. Sie hoffte, dass auch Noguchi darauf verzichtete. Leider tat er ihr nicht den Gefallen. Er betätigte die Gegensprechanlage.
»Sarah, bringen Sie mir bitte eine Flasche Mineralwasser. Eine große.« Er ließ sich in seinen Sessel fallen und wischte sich fahrig mit dem Handrücken über die Stirn. »Ziemlich heiß hier drin, finden Sie nicht?« Seine Stimme klang bereits schleppend.
Yuki lächelte, nickte und versuchte abzuschätzen, wie lange Sarah brauchen würde, um das Wasser zu bringen. So oder so, sie musste improvisieren. Zum Glück war Noguchis Büro nicht mit einer Glasfront oder Glastür ausgestattet. So konnte niemand von draußen sehen, was drinnen vor sich ging.
Sarah kam im selben Moment zurück, als Noguchi einen röchelnden Atemzug tat und im Sessel zusammensackte. Sie stellte hastig das Wasser auf dem kleinen Tisch neben der Tür ab. »Mr Noguchi!« Sarah eilte zu ihm, kam aber nicht weit. Ein Fingerstich gegen ihren Hals ließ sie wie vom Blitz getroffen zusammenbrechen.
Yuki fing den leblosen Körper auf und setzte ihn in den Sessel, aus dem sie gerade aufgestanden war. Eile war geboten. Sie schrieb die beiden Schriftzeichen auf Noguchis Stirn und machte sich daran, seinen Safe zu knacken, ein drei Fuß hohes Monster, das in einer Ecke zwischen zwei mit Ordnern gefüllten Regalen stand. Nach kurzer Zeit schwang die Safetür auf. Wie Yuki befürchtet hatte, enthielt das Ungetüm mehr Papiere und Geldbündel, als sie in ihrer Businesstasche transportieren konnte. Kurzerhand zog sie eine Registerschublade des Rollcontainers auf, der neben Noguchis Schreibtisch stand, und packte den größten Teil der Papiere hinein, den sie nicht brauchte. Die gesuchte versiegelte Akte mit der aufgestempelten roten Spinne lag ganz zuunterst. Hervorragend. Das ersparte es ihr, in Noguchis Haus einbrechen zu müssen.
Yuki steckte die Akte ein, dazu eine größere Summe Bargeld, legte den Rest in die Schublade und schob sie zu. Ihre Tasche durfte nicht sichtbar ausgebeult sein, sonst könnte es jemandem auffallen. Falls die Sicherheitsleute am Eingang ein scharfes Auge besaßen, konnte die Sache noch brenzliger werden.
Yuki vergewisserte sich, dass Sarahs Puls regelmäßig schlug. Dann ging sie zur Tür und lauschte. Im Vorzimmer saß noch jemand. Zwei Leute, um genau zu sein.
»Selbstverständlich erhalten Sie ein Belegexemplar des Artikels, sobald er erschienen ist, Mr Noguchi«, sagte sie laut genug, dass die Leute vor der Tür es hören mussten. »Bemühen Sie sich bitte nicht. Ich finde allein hinaus. Nochmals vielen Dank für Ihre Zeit.«
Yuki öffnete die Tür gerade weit genug, dass sie hindurchgehen konnte, ohne dass es allzu bemüht wirkte, aber nicht weit genug, dass die beiden Schreibkräfte im Vorzimmer den Schreibtisch sehen konnten, an dem ihr ermordeter Chef saß, und auch nicht die bewusstlose Sarah. Sie nickte den beiden lächelnd zu und verließ ohne Eile das Vorzimmer.
Sekunden später hörte sie eine der beiden Frauen an die Tür ihres Chefs klopfen.
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