Das Kumo-Kartell
kam. Sie musste nur warten, bis er auftauchte. Das konnte noch ein paar Stunden dauern, aber an Geduld mangelte es ihr nicht.
Sie legte sich in bequemer Haltung auf den Boden und lauschte den Geräuschen um sie her. Die Nacht umgab sie wie ein schützender Mantel. Sie liebte die Dunkelheit, ihre Schatten und die Geheimnisse, die sich darin verbargen. Außerdem half sie ihr, sich vor neugierigen Augen zu verbergen, obwohl sie das auch zu jeder anderen Tageszeit konnte. Schließlich war sie eine Meisterin des Onshin-Jutsu , der Kunst des Unsichtbarmachens, was nichts anderes bedeutete, als dass sie sich ihrer Umgebung so perfekt anpassen konnte, dass sie niemandem auffiel.
Ob in einer Polizeiuniform mit einer gefakten Marke unter einem Dutzend anderer Polizisten, im Overall einer Reinigungsfirma oder als Zimmermädchen verkleidet – es gab tausend Möglichkeiten, sich unsichtbar zu machen. Mit der Dunkelheit zu verschmelzen war Yuki jedoch die liebste. Es verschaffte ihr ein Gefühl von Sicherheit und Ruhe. Und während sie wartete, konnte sie sich sammeln und ihre Gedanken ordnen.
Nach ungefähr zwei Stunden flammte hinter mehreren Fenstern Licht auf. Itani war endlich nach Hause gekommen. Er öffnete die Terrassentür, lehnte sich mit der Schulter gegen den Türrahmen und atmete tief die kühle Nachtluft ein. Yuki konnte sein Gesicht deutlich erkennen. Es war Takumi Itani, kein Zweifel. Er hatte sein Hemd ausgezogen und trug nur noch ein T-Shirt. In der Hand hielt er ein Whiskyglas. Er warf einen Blick zum Himmel, trank einen Schluck und blickte erneut nach oben. Dadurch wurde seine Kehle gestreckt und bot ein nicht zu verfehlendes Ziel.
Perfekt. Yuki zog den Wurfstern aus der Tasche, dessen Spitzen mit Gift präpariert waren, und hob die Hand zum Wurf.
Im Haus klingelte das Telefon. Itani seufzte und drehte sich um. Sein ungeschützter Nacken bot ein ebenso gutes Ziel wie vorher seine Kehle. Und das Gift wirkte in jedem Fall, sobald es in die Blutbahn gelangte, egal an welcher Stelle des Körpers. Ein winziger Riss in der Haut genügte.
Der Wurfstern schwirrte durch die Luft.
Itani stieß einen erstickten Laut aus, als sich zwei Zinken des Sterns unterhalb der Schädelbasis in seine Haut bohrten. Das Whiskyglas fiel ihm aus der Hand. Die Bewegung, mit der er nach dem Stern fasste, führte er nicht zu Ende. Er brach zusammen und blieb nach einigen zuckenden Bewegungen reglos am Boden liegen. Das Telefon klingelte immer noch.
Yuki huschte ins Haus und nahm den Wurfstern wieder an sich. Anschließend drehte sie den Mann auf den Rücken und schloss ihm die Augen, ehe sie einen Permanentmarker aus der Hosentasche nahm und »Kumo« auf seine Stirn schrieb.
Dann machte sie sich auf die Suche nach seinem Safe.
*
»Itani geht nicht ans Telefon.« Decker klang besorgt.
Obwohl es ein halbes Dutzend Möglichkeiten gab, warum er nicht ans Telefon ging, war es in diesem Fall doch beunruhigend. Itani war nicht mehr in seinem Büro, wie eine Anfrage bei seiner Sekretärin ergeben hatte. Sein Smartphone war ausgeschaltet, und zu Hause war er nicht oder noch nicht zu erreichen. Falls Mr High recht behielt, dass die Attentäterin erst morgen wieder zuschlagen würde, konnte das bedeuten, dass Itani gerade unter der Dusche stand oder mit einer Frau im Bett lag und deshalb nicht ans Telefon ging.
Immerhin war er zu Hause, denn in seinem Haus brannte Licht, als Cotton und Decker ihren Wagen vor der Tür parkten.
»Dunkelblauer Dodge auf der anderen Straßenseite«, stellte Cotton fest. »In dem Wagen sitzen zwei Personen, die Itanis Haus beobachten.«
Decker hatte sie im selben Moment bemerkt. »Fragen wir sie doch mal, was sie hier zu suchen haben.«
Sie schlug die Jacke ihres Hosenanzugs zur Seite, sodass die am Gürtel befestigte FBI-Marke sichtbar wurde. Cotton tat das Gleiche. Das genügte den beiden im Wagen sitzenden Latinos. Der Fahrer ließ den Motor an und jagte davon. Cotton hob die Waffe, um den Dodge mit einem gezielten Schuss in einen der Reifen zu stoppen.
»Nein«, sagte Decker und griff nach ihrem Smartphone. »Zeerookah, überprüf mal ein Kennzeichen. Dunkelblauer Dodge, New Yorker Nummer HGB 1191. Wenn’s geht, verfolge ihn über GPS. Er ist die Delafield runter und in den Manhattan College Parkway Richtung Riverdale eingebogen.« Sie schaltete den Lautsprecher des Phones ein, damit auch Cotton hören konnte, was Zeerookah zu sagen hatte.
Dessen Antwort ließ nicht lange auf sich warten. »Der Wagen
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