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Das kupferne Zeichen - Fox, K: Kupferne Zeichen

Das kupferne Zeichen - Fox, K: Kupferne Zeichen

Titel: Das kupferne Zeichen - Fox, K: Kupferne Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katia Fox
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Zahnreißer mit breiten Lederriemen am Stuhl festgebunden.
    Selbst den Mutigsten perlte der Schweiß von der Stirn, wenn ihnen ein Zahn gezogen oder eine Wunde genäht werden musste. Überall um das Podest herum drängten sich Kranke, in deren Gesichtern die Angst vor den Schmerzen ebenso stand wie die Hoffnung auf Heilung.
    Auch Schaulustige belagerten die Tribüne in der Hoffnung, vielleicht das Abtrennen einer Gliedmaße oder etwas anderes Grauenerregendes beobachten zu können. Die Menge überwachte jeden Handgriff der beiden Männer, kommentierte ihreGesten mit Abscheu und Erstaunen und die Schreie der Gequälten mit Schmährufen. Für viele schien das Spektakel eine willkommene Abwechslung zu sein.
    Ellen brachte es nicht fertig, länger zuzusehen. Der widerliche Geruch von Eiter und Fäulnis, Blut und verbranntem Fleisch war zu viel für ihren Magen. Nur mit Mühe und eisernem Willen konnte sie verhindern, dass sie ihre Pastete wieder hervorwürgte.
    Auf der anderen Seite des Platzes waren die Verkaufsstände dicht aneinandergedrängt, auf ihren Dächern aus buntem Tuch oder Leder hatte sich Regenwasser gesammelt. Mit Stöcken drückten die Händler von unten dagegen, damit es ablaufen konnte. Bauern, Mönche und unzählige Kaufleute hatten ihre Waren in die Stadt gebracht. Was immer man brauchen konnte, war auf diesem Markt zu finden: Töpfe aus Eisen oder Kupfer in allen Größen und Formen, jede Art von Tongefäßen und Korbwaren, Spielsachen und Hausrat, Leder und alles, was man daraus anfertigen konnte, Stoffe und Bänder, Zierrat und allerlei Nützliches aus Horn, Knochen, Holz oder Metall.
    In einer Ecke boten zwei Mönche in zerschlissenen Kutten Bier feil, das sie aus großen, bauchigen Fässern schöpften. Obwohl die beiden so ärmlich aussahen, musste ihr Gebräu besonders gut sein, denn an ihrem Wagen hatte sich eine lange Schlange von Kaufwilligen gebildet, die jeder einen oder mehrere große Krüge mitgebracht hatten.
    Ein Stück weiter konnte man lebendes Federvieh, Eier, Mehl, Kräuter, Pökelfleisch, Räucherspeck, Obst, Gemüse und andere Küchenzutaten kaufen.
    Am außergewöhnlichsten und ständig von Gaffern umlagert waren aber die Stände mit den exotischen Früchten und Gewürzen wie Datteln, Granatäpfel, Pfeffer, Ingwer, Sternanis, Zimt und Senf. Ellen sog den betörenden Duft genießerisch ein. Wenn sie die Augen schloss, kam sie sich vor wie in einer anderen Welt.
    Die Händler riefen laut durcheinander und priesen ihre Waren an. Allein um die Tandstände drängten sich Frauen und Mädchen jeden Alters, schoben und schubsten, nur um all die hübschen Dinge ansehen und vielleicht auch befühlen zu können. Obwohl es Ellen in den vergangenen Monaten in Fleisch und Blut übergegangen war, sich wie ein Junge zu benehmen, stand sie jetzt wie alle Mädchen mit offenem Mund und großen Augen vor den bunten Haarbändern und dem anderen hübschen Zierrat. Die schönen, klaren Farben, die fremden Gerüche des Marktes und die Vielfalt der angebotenen Waren berauschten sie wie ein Krug Starkbier.
    »Geh weiter, Junge, du versperrst den Ladys ja die Sicht!«, rief ein blasser Händler ihr barsch zu.
    Lächelnd pries er im nächsten Moment wieder seine Kordeln, Borten und Bänder an, um Ellen dann mit einem ungnädigen Blick endgültig zu vertreiben – und mit einem Schlag war das wunderbare, glückstrunkene Gefühl fort. Was ist dir wichtiger, dumme Gans, zu schmieden oder bunte Bänder in den Haaren zu haben, schalt sich Ellen und war darüber verärgert, dass sie sich so sehr in den Bann der hübschen, nutzlosen Dinge hatte ziehen lassen. Sie kehrte den Tandständen entschlossen den Rücken. Ich sollte endlich zusehen, dass ich diesen Schmied finde, von dem Llewyn gesprochen hat, statt Maulaffen feilzuhalten, dachte sie und tastete nach ihrem Geldbeutel. Solange sie keine Arbeit hatte, waren ihre Ersparnisse alles, was sie besaß.
    Plötzlich brach ihr der kalte Schweiß aus. Sie suchte nun unter dem Hemd nach dem Beutel. Nichts. Ellen griff nach der Lederschnur um ihren Hals. Die Schnur war noch da, aber der Beutel mit dem Geld war verschwunden – abgeschnitten. Ellens Herz begann zu rasen, und in ihrem Kopf rauschte es. Fieberhaft überlegte sie, wie und wann der Diebstahl passiert sein konnte. Ob sie nach dem Kauf der Fischpastete vergessen hatte, den Beutel wieder unter ihr Hemd gleiten zu lassen? Hilflos sah sie sich um. Wer konnte ihn gestohlen haben? Etwa die nettePastetenverkäuferin?

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