Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das kurze Glueck der Gegenwart

Das kurze Glueck der Gegenwart

Titel: Das kurze Glueck der Gegenwart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Kaemmerlings
Vom Netzwerk:
Studententheaterinszenierung von Shakespeares »Richard III .«. Unsere Regisseurin war die heutige Intendantin des Kölner Schauspielhauses Karin Beier. Damals leitete sie eine lokal renommierte deutsch-englische Theatergruppe namens »Countercheck Quarrelsome«. Auf dem Spielplan dieser ungewöhnlich ambitionierten Laientruppe standen nur Shakespeare-Dramen, jedes Semester eines, und zwar ausschließlich im Original, was den Schauspielern schon allein sprachlich und artikulatorisch einiges abverlangte. Da konnte eine kleine Nebenfigur schon einmal tagelang an einer Zeile proben wie: »What wouldst thou, fellow, and how cam’st thou hither?«
    Der Perfektionismus der Regisseurin richtete sich aber nicht nur auf die Schauspieler und deren akzentfreie elisabethanische Aussprache. Wenn ich als ein beim Proseminar gecasteter Statist vorher gewusst hätte, wie viel Arbeit auf mich zukam, hätte ich es mir wohl anders überlegt. Das Semester war jedenfalls so gut wie gelaufen. Beim ersten Treffen stellte Karin Beier nämlich einen Aikido-Lehrer vor, der uns auf Vordermann bringen sollte. Denn wir hatten vor allem in zwei Szenen aufzutreten, ganz zu Beginn und ganz am Ende, jeweils in einer großen Schlachtszene. Die letzte Szene kennt jeder, es ist Richards finale Niederlage, wo er schließlich die berühmten Verse spricht: »A horse, a kingdom for a horse.« Die erste Schlachtszene steht nicht im Stück, sie hatte der Dramaturg, historisch korrekt, aus dem Schluss von »Henry VI .« eingefügt. In beiden Szenen jedenfalls hatte die wie eine Vorstadtjugendgang ausstaffierte Truppe zu martialischer Technomusik und exakt choreographiert aufeinander einzudreschen. Stell dir vor, es ist Krieg, und jeder geht hin. Und dafür mussten uns unmilitärischen Schlaffis natürlich erst einmal Körperbeherrschung, Disziplin und Nahkampftechnik beigebracht werden. Grundausbildung nichts dagegen.
    In den Achtzigern verweigerte jeder den Wehrdienst, der kein Idiot oder Rechter war oder der möglichst rasch Karriere machen wollte – o.k. das war die Mehrheit. Viele trugen zwar ausgediente Armeehemden und Parka, aber waren so zivil wie – nun Zivis eben. Mein erstes und bislang einziges Kampftraining hatte ich jedenfalls im Dienst der Kunst. Der Aikido-Trainer stammte, wenn ich mich recht erinnere, aus Pakistan, jedenfalls aus einer Gegend, in der Kampf und Krieg auch außerhalb des Theaters stattfanden und es womöglich nicht schaden konnte, sich mit einem Stock verteidigen zu können.
    1989 gab es keinen Krieg, und dennoch war er in allen Köpfen. Wenn man sich Krieg vorstellte – nicht den in fernen Gegenden, auf den Falklandinseln, in Angola oder Afghanistan, sondern in Europa, mit eigenen Soldaten –, dann war das eine Sache von wenigen Minuten. Erstschlag, massive response , Ende der Fahnenstange. Nuklearer Winter, und die Evolution kann von vorn anfangen, mit Ratten oder Termiten. Als dann die Mauer fiel und damit der Kalte Krieg zu Ende ging, dachte ich, dachten viele, dass der Krieg jetzt endgültig eine Sache für Historiendramen geworden war. Auch Philosophen sprachen vom »Ende der Geschichte«: Der westliche Liberalismus, die Demokratie und der Kapitalismus hatten gesiegt, was jetzt noch folgen konnte, waren lediglich Rückzugsgefechte der schlechten Verlierer irgendwo in Afrika. Vielleicht war das Sommersemester ’89 der letzte Moment gewesen, als man ein Königsdrama von Shakespeare mit realistischen Schlachtszenen noch ganz unbefangen als Theaterspektakel inszenieren konnte. Danach hatte man für einen kurzen Moment die Illusion, es sei jetzt vorbei mit den Kriegen, und der Pazifismus der Achtziger, das »Schwerter zu Pflugscharen« und das »Nein, meine Kinder geb ich nicht« hätten den Endsieg davongetragen. Statt Dramen nur noch Komödien in neckischen Kostümen, die ganze Weltgeschichte ein »Sommernachtstraum«.
    Deswegen traf gerade die Generation Golf der Golfkrieg so ins Mark, hingen Anfang ’91 die Friedensfahnen aus jedem Fenster. Jeder erinnert sich daran, wo er die Nachricht vom Fall der Mauer erfuhr und wo er die rauchenden Türme des World Trade Center zum ersten Mal sah. Doch ich erinnere mich auch genau, wie viele meiner Generation, an die Nacht, in der die amerikanischen Luftangriffe auf Bagdad begannen. Mit meiner Freundin hing ich am Radio, Fernseher hatten wir keinen, und Internet gab es noch nicht. Und dann kamen die Balkankriege. Und plötzlich waren wir mittendrin statt nur dabei.
    In der

Weitere Kostenlose Bücher