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Das kurze Glueck der Gegenwart

Das kurze Glueck der Gegenwart

Titel: Das kurze Glueck der Gegenwart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Kaemmerlings
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die Gefallenen – Gefühle, die in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr aufgekommen waren. Warum erzählt niemand davon? Soll sich denn die Literatur nur mit vergangener Schuld, mit vergangenem Leid beschäftigen? Oder gilt der Krieg nicht als literaturfähig?
    Der amerikanische Politologiestudent Tim O’Brien war dreiundzwanzig, als er seine Dienstzeit in Vietnam verbrachte. Er war 1969/70 Angehöriger jener Division, in deren Bereich kurz zuvor das Massaker von My Lai verübt worden war. 1973 erschienen O’Briens Erinnerungen. Nach einem Marschlied der Army nannte er das (nicht ins Deutsche übersetzte) Buch: »If I Die In a Combat Zone, Box Me Up and Ship Me Home«. Der Veteran kann den Leser nicht über den Krieg belehren, er kann ihm wenig mitteilen, was dieser nicht schon aus den Nachrichten kennt. Aber er kann Geschichten erzählen.
    Das Thema ließ O’Brien nicht los. Er schrieb einige der bis heute besten Romane über den Krieg: »Die Verfolgung« (1981) oder »Was sie trugen« (1999) beispielsweise. O’Brien weiß, dass nur die Fiktion in der Lage ist, die Wahrheit über den Krieg zu vermitteln. Das Geschehen selbst ist unwirklich, der Kampf erscheint dem Soldaten wie eine Art Traum, abgetrennt von der Wirklichkeit der Daheimgebliebenen. Ein Begriff aus dem Armeejargon » AWOL « (Absent Without leave), der Fahnenflucht bezeichnet, wird zum zentralen Begriff für den Bewusstseinszustand des Soldaten, der sich aus seiner gefährlichen und höchst angespannten Situation herauswindet und eine Art Fahnenflucht der Phantasie betreibt.
    Diese beeindruckende literarische Verarbeitung ist kein Privileg des Vietnamkrieges, auch wenn der in seinen Dimensionen und seiner Wirkung auf die kollektive Psyche Amerikas sicher tiefer wirkte als jeder andere Krieg. 2004 veröffentlichte der Journalist Evan Wright seine Chronik über die Invasion im Irak, die er als »embedded journalist« bei einem Marine Battalion buchstäblich in vorderster Front miterlebt hatte: »Generation Kill«. Auch hier ging der Weg von der Dokumentation zur Fiktion: David Simons und Ed Burns, die Autoren und Produzenten hinter »The Wire«, adaptierten Wrights Bericht zu einer Miniserie auf dem Bezahlkanal HBO . Wieder einmal stellt sich die Frage, warum uns das Fernsehen ein Bild von moderner Wirklichkeit geben kann, vor der die Literatur auf auffällige Weise zurückscheut.
    In Deutschland kommen der Krieg und das Militärische überhaupt nur in verkleinerter, spielerischer Form an – als Klamotte oder als Kinderspiel. Leander Haußmanns erfolgreiche Filmkomödie » NVA « (2005) ist ein typisches Beispiel im Kino. Eine (westdeutsche) Parallele in der Literatur ist die liebevoll-groteske Sicht auf den »Bund« in Sven Regeners Roman »Neue Vahr Süd« (2004), dem Nachfolger seines Bestsellers »Herr Lehmann«. Zeitlich spielt das Buch vor der Berliner Zeit Lehmanns, in den frühen Achtzigern in Bremen, als die Einberufung ansteht. Schon das ist eine merkwürdig unernste Ausgangssituation, denn der ewig quasselnde, kneipenphilosophische Antiheld hat schlicht die Termine für die Verweigerung verschusselt und muss sich jetzt im ewigen antiautoritären Kleinkrieg mit seinen Vorgesetzten bewähren.
    So wie hier ist der Bund vielen vorgekommen – als eine Phase persönlicher Bewährung und Reifung zwar, vor allem aber als unerschöpfliche Quelle von Anekdoten und Schnurren über den absurden Kommissalltag, über verrückte Vorgesetzte, Schlendrian und sinnlose Beschäftigungstherapien. »Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk« statt »Full Metal Jacket«.
    Um nicht missverstanden zu werden: Unter mentalitätsgeschichtlichen und politischen Gesichtspunkten ist das natürlich erst einmal zu begrüßen; zum Helden berufen oder gar geboren fühlte sich in Deutschland niemand mehr. Der Dienst an der Waffe war etwas Lästiges, Unbequemes, ein Zeitverlust im Lebenslauf. In der DDR sah das allerdings anders aus. Hier hat sich von Johannes Janssen bis Uwe Tellkamp die NVA -Zeit durchaus als Traumatisierung literarisch niedergeschlagen.
    In der Bundesrepublik aber war der Wehrdienst keinesfalls eine Quelle schrecklicher Erinnerungen, eine Situation existentieller Entscheidung. Er war überhaupt nichts wirklich Ernstes oder Gefährliches. Das Militär war, vierzig Jahre nach dem Ende des von den Deutschen verbrochenen Weltkrieges, endgültig zivil geworden, ja es war eine Art Zivildienst mit anderen Mitteln.
    Und warum sollte diese

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