Das kurze Glueck der Gegenwart
egalisierenden Mechanismen des Konsums und der Kontrollmacht des Staates andererseits ausgetragen wird: Berlin als Frontstadt eines neuen globalen Konflikts. Schon der Prolog des Romans, erzählt aus der Perspektive der Security-Männer des Sony Center am Potsdamer Platz, entwirft eine fast futuristisch-apokalyptische Welt, in der keine Bewegung unbeobachtet bleibt: die ganze Gesellschaft unter den Überwachungskameras: »Metalldetektoren, durch die man durchmuss, eines Tages wird man auch in Städte nur noch reingelassen, wenn man vorher geröntgt worden ist. Achtung, da ist ein komischer Schatten auf dem Monitor: Herzschrittmacher oder Zeitzünder?«
Gleichzeitig aber ist das ein System, in dem jede Gegenmaßnahme nur den Widerstand verstärkt und sich, wie eben schon einmal in den siebziger Jahren, die Überzeugung der Terroristen, in einem totalitären System zu leben, als Selffulfilling Prophecy erweist. Die Reaktionen der Macht nehmen die Qualität eines Polizeistaats an und drängen so immer mehr Sympathisanten in die Radikalisierung. Der Romantitel ist das Zitat aus einem Brief des RAF -Mitglieds Holger Meins vom 5. Juni 1974, den der Inhaftierte während des Hungerstreiks schrieb, an dessen Folgen er wenige Monate später starb: »entweder du bist ein teil des problems oder du bist ein teil der lösung. DAZWISCHEN GIBT ES NICHTS . so einfach und doch so schwer.« Gegenüber dieser Kompromisslosigkeit erscheinen dann alle Lebensentwürfe der Gegenwart wie Schwäche und Scheitern – etwa der alternativ-bürgerliche Freund Jakob, ein Germanist mit sicherem Uni-Job und einem alle Restkraft absorbierenden Familienalltag.
Dass ausgerechnet das scheinbar so gemütliche Prekariat der Hauptstadt den Nährboden für gewaltbereite Opposition bereitstellen soll, ist zunächst überraschend. Wer heute in den Zeitungen regelmäßig von den angezündeten Oberklasse-Autos in Kreuzberg liest, der weiß es besser. Das Milieu, das der Roman beschreibt, gibt es. Fraglich ist nur, wie groß es ist und in welchem Stadium der Radikalisierung es sich befindet. Der Verfassungsschutz-Beamte im Roman formuliert es so: »Dass es die letzten Jahre ruhiger war, hat meines Erachtens etwas mit dem Umbruch in den Generationen zu tun, einer Neudefinition der globalen Lage, von Angriffszielen und Hemmschwellen, die sie mental überwinden müssen. Bis die Einsicht, militant zu werden, nicht mehr abzuweisen ist.«
Ulrich Peltzer beschreibt diesen Generationenbruch des linken Rands sehr genau – er hat ihn mit dem Liebespaar ins Zentrum des Buchs gestellt. Peltzer, geboren 1956 in Krefeld, lebt, wie viele Akademiker der Bundesrepublik seit den siebziger Jahren, in Westberlin und seine Bücher – »Stefan Ramirez (1995), »Alle oder keiner« (1999) – lassen sich als Chronik des Scheiterns seiner Generation lesen. Einer Generation, die nach der Revolte von 1968 kam und immer an eigenen Kompromissen litt – im Privaten, in der Politik, in der Kunst. Reinhard Mohr hat diese Generation, die »Achtundsiebziger«, schon 1992 die »Zaungäste« genannt. Aber nur wenige haben dieses Dilemma so konsequent zu Ende gedacht wie Ulrich Peltzer. Insofern ragt der Rigorismus des Zweifels, die Ernsthaftigkeit, mit der die verschiedenen Lebensentwürfe befragt werden, aus der Gegenwartsliteratur hinaus. Genauso wie seine am Kino geschulte Modernität des Erzählens. Schnelle Schnitte, hypergenaue Beschreibungen und eine spannende, multiperspektivisch vorgetragene Handlung geben dem Buch das Tempo und die Sogkraft eines echten Großstadtromans. Das kiezige Berlin wird wieder Schlachtfeld, aber nicht zur hundertmal gesehenen Kulisse von Untergangsvisionen, auch nicht von nachgestellten Kämpfen der Siebziger, sondern als Brennpunkt heutiger Konflikte, die möglicherweise erst in Zukunft in ihrer vollen Tragweite an die Oberfläche gelangen werden.
So hat Berlin in diesen letzten zwanzig Jahren einen weiten Weg zurückgelegt, auch in der Literatur. Vom Mauerfall-Freudentaumel über die Zombie-Reichshauptstadt und den Preußen-Ähnlichkeitswettbewerb, die Untergangsphantasien und das Zukunftslabor. Jetzt könnte man vielleicht endlich wieder anfangen, seine alltägliche Wirklichkeit zu beschreiben.
2.Erfolgreich verweigert: Warum Krieg in der deutschen Literatur kein Thema ist
Im Sommer 1989 war Krieg. Jedenfalls in Hürth-Hermülheim, einem kleinen Örtchen bei Köln, dem man das nicht auf den ersten Blick angesehen hätte.
Ich war Statist in einer
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