Das kurze Glueck der Gegenwart
unspektakuläre Zwischenphase ein besonderes Thema der Literatur sein? In der frühen Kindheit und der Pubertät ging doch viel mehr ab und schief. Einen gelungenen Zivildienstroman hat die deutsche Literatur aber immerhin hervorgebracht. Marcus Braun lässt in »Hochzeitsvorbereitungen« (2003) die merkwürdige erotisch aufgeladene Situation des Zivis unter Krankenschwesterschülerinnen oder Altenpflegerinnen aufleben, die der wahre Initiationsritus für ganze Generationen von Heranwachsenden gewesen ist. Perfekt fängt er darin jene Lebensphase zwischen Jugend und Erwachsensein, Abschied von der Heimat und Aufbruch in die Stadt ein. Hier können sich auch mehr Leser und Leserinnen einfühlen als in die männerbündische Welt von Grundausbildung und Armeealltag.
Einige Spurenelemente und Niederschläge des Krieges in der deutschen Literatur gibt es allerdings doch. So hat Henning Ahrens sich in seinem postapokalyptischen Berlin-Roman »Langsamer Walzer« (2004) ein Endzeitszenario ausgemalt, das historische Zeiten mit einer Comic- und Computerspiel-Ästhetik überblendet. Das ist ein bisschen April 1945, ein bisschen Atomkriegsplanspiel, ein bisschen »Terminator«. Durchaus konsequent, denn aus der Perspektive des Ballerspiels hat zumindest der männliche Teil der Bevölkerung dann doch durchaus seine Kriegserfahrungen gemacht: der Ersatzdienstleistende als Ego-Shooter.
Schon im Prolog wird das Jungenhaft-Unernste des Romans überdeutlich vorgestellt: Zum Autor kommen zwei mysteriöse Gestalten, die ihn auffordern, einen Roman zu schreiben, und ihm das dafür vorgesehene Personal in Form von kleinen Plastikfiguren auf den Tisch schütten. Die Hauptfigur des Buchs, ein Commander Coeursledge, trägt eine Maske und verfügt über ein ausfahrbares Teleskop-Auge. Ort der Handlung ist die zerstörte und offiziell evakuierte »Winterstadt«; der Name Berlin fällt nie, obwohl die Parallelen evident sind. Zwischen ihren Ruinen hausen »Kens« und »Barbies«, schlammfressende Halbmenschen, die von den Soldaten wie Wild erlegt und ausgeweidet werden. Mit irgendeiner Kriegsrealität hat das nichts zu tun, wenn hier Amerikaner und eine »Euro-Force« kämpfen.
Ahistorisch, kontrafaktisch, ins Phantastische gedreht – so stellt sich der Krieg in der deutschen Gegenwartsliteratur dar, so als gäbe es gar keine Anker in der Wirklichkeit, als gäbe es nicht seit Jahren ernste reale Kriege mit deutscher Beteiligung, als wäre die Bundeswehr immer noch jener saufende Freizeitclub und jagte nicht in Afghanistan echte Taliban aus Fleisch und Blut statt Puppenmenschen aus Plastik.
Christian Kracht hat das in seinem Pseudo-Historienroman »Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten« (2008)bewusst auf die Spitze getrieben und nun auch noch das geschichtlich Reale, die Zeit vor 1945, entwirklicht und zur Kulissenschieberei gemacht. Eine – entgegen dem tatsächlichen Gang der Weltgeschichte – nach 1917 sozialistisch gewordene Schweiz ist in diesem Roman der Schauplatz eines verkehrten und verschobenen Weltbürgerkriegs, den Kracht mit Anleihen bei Ernst Jüngers Angst-und-Schrecken-Ästhetik ausmalt. Ein Kommissar mit einem geheimen Auftrag irrt durch eine Alpenfestung auf verlorenem Posten, ein blutig-bunter Zitatenmix, der weder mit historischen noch gegenwärtigen Konflikten irgendetwas zu tun hat. Noch vor ein paar Jahren wäre das eine mittlere Provokation gewesen, da in dieser Anderswelt auch von deutscher Schuld und Verbrechen nichts mehr übrig ist, doch wurde der Roman schon gar nicht mehr als Kommentar zu irgendetwas aufgenommen, sondern nur noch als reines Zitatenspiel, als Schützengraben-Puppenstube. Das ist aus dem Krieg in der Gegenwartsliteratur eines Landes geworden, das in der nahen Vergangenheit zweimal den ganzen Globus in Brand gesteckt hat und auch heute, wenn auch aus guten Gründen, wieder Krieg führt: eine völlig fiktionale Eigenwelt des Literarischen, ein Kampf von Pappkameraden und Papierfliegern, gegen die selbst die von Hitler zur finalen Rettung herbeiphantasierte Armee Wenck noch echt real war.
Dass der bei anderen Stoffen so überzeugend eingelöste Anspruch auf Gegenwart hier nicht gilt, hat nicht zuletzt seinen Grund in der Biographie der Autoren. Wem der Krieg persönlich fremd ist, der nimmt sich seiner auch nicht in der Fiktion an. Wäre der Begriff nicht so belastet, würde man von einem »Materialproblem« sprechen. Es fehlt den deutschen Autoren schlicht an
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