Das kurze Glueck der Gegenwart
Munition.
Allerdings gibt es einen Roman eines jüngeren Autors, der auf eindringliche Weise deutlich macht, wie Kriege auch heute das Leben einzelner Menschen und ganzer Völker prägen und zerstören. Der aus Bosnien stammende Sa Š a Stani Š ić hat mit »Wie der Soldat das Grammofon repariert« (2006) eines der intensivsten Bücher der Nullerjahre geschrieben. In vielen kleinen Geschichten wird der Religionskrieg auf dem Balkan vergegenwärtigt, als aus Nachbarn plötzlich Feinde und aus Bekannten Soldaten gegnerischer Armeen wurde – aus den Augen eines Kindes, das die Tragweite der von ihm erinnerten Details nicht verstehen kann. Aus dem Mosaik von Geschichten aus der schwer umkämpften Stadt Vi Š egrad, der Heimatstadt des dort 1978 geborenen Autors, entsteht das Gesamtbild eines furchtbaren Krieges – ein dichtes, ein beeindruckendes Buch, aber eben auch eines aus der Perspektive des Kindes, das nicht wirklich versteht, was passiert. Erzählt werden die Folgen des Krieges im Privaten, die Erschütterungen, die durch die Familien, die Nachbarschaften, die Freundschaften gehen.
Auch der Österreicher Norbert Gstrein hat die Balkankriege zum Thema eines Romans gemacht oder besser: ihre Beschreibung, ihre Abbildung, ihre mediale Durchdringung: Er erzählt in »Das Handwerk des Tötens« (2003) von einem Kriegsreporter, den sein eigenes Geschäft, sein Handwerk so in das Geschehen verstrickt hat, dass er jedes Maß verliert. Der Beobachter wird selbst Teil des Geschehens. In seinem Wunsch, die Gefühle und Motive der Soldaten zu verstehen, legt er – das ist jedenfalls eine Möglichkeit – selbst den Finger an den Abzug. Ein eindrucksvolles Buch, das aber, erzählerisch vertrackt, nie verhehlt, dass es auf einer Metaebene angesiedelt ist. Kein Roman über den Krieg, sondern einer über das Erzählen vom Krieg, darin auch wieder Tim O’Brien verwandt. Es ist fast so, als würde mit Gstrein einer unserer Klügsten eine Warntafel aufstellen: Vorsicht, wer direkt vom Krieg erzählen will, der geht in die Falle. Vielleicht kann man nicht direkt, unmittelbar vom Krieg erzählen, so als wäre man dabei gewesen. Vielleicht aber wagt es einfach auch niemand. Oder es ist niemand da, der – wie Tim O’Brien nach seiner Rückkehr aus Vietnam – vom Krieg erzählen muss, Geschichten vom Krieg erfinden muss, die wahr sind, weil sie erfunden sind. Gstrein ist jedenfalls trotz seiner stets durchscheinenden Skepsis gegenüber dem Wahrheitsanspruch des Erzählens jemand, der sich (wie eben auch in seinem Ulla-Berkéwicz-Buch) dieser Wirklichkeit stellt und es erst einmal drauf ankommen lässt: Zum Rückzug in die reine Fiktionalität kann man immer noch blasen.
Am 5. Juni 2010 lese ich in der FAZ eine Reportage über einen deutschen Trupp der »Quick Reaction Force« in Afghanistan, den »Foxtrott-Zug«. Darin steht folgender Abschnitt über eine nicht einmal besonders außergewöhnliche Begegnung mit dem Feind: »Mit dabei war auch der Fuchs mit dem Granatmaschinenwerfer. Der neunzehn Jahre alte Fahrer wurde von einem Panzerfaustgeschoss um weniger als einen Meter verfehlt. Alle seien danach in großes Gelächter ausgebrochen, noch während des Gefechts, erzählt die Besatzung – am lautesten der Fahrer selbst. Was kann einen Neunzehnjährigen jetzt noch erschüttern im Leben?« In diesen wenigen Zeilen, in diesem Lachen steckt mehr Romanstoff als in sämtlichen deutschsprachigen Debüts des letzten Frühjahrs. Vielleicht schreibt der Panzerfahrer selbst irgendwann einmal seine Geschichte auf, vielleicht sein Kamerad, vielleicht auch jemand ganz anderes, den dieses Lachen nicht mehr loslässt.
Ein Nachtrag aus dem Herbst 2010 ist hier allerdings notwendig. Denn in dieser Saison war plötzlich der Krieg Aufmacher in allen Feuilletons. Da waren in einem Buch eines deutschsprachigen Schriftstellers Sätze wie diese zu lesen: »20 nach 12 kam die Kanonade etwas zum Schweigen, vorne wurde anscheinend gestürmt. Eine halbe Stunde nachher kam durch das Artillerie-Beobachtungstelefon die Nachricht, daß 3 franz. Gräben gestürmt wären, und nachher, daß 6 schwere Geschütze genommen wären. Hurrah! Hurrah! Am Nachmittag gingen wir wieder auf die Chaussee zurück. Wir kamen an gefangenen feldgrauen Franzosen vorbei und eine Bahre nach der anderen wurde irgendwohin getragen. Man sah viel Blut und gelbe Gesichter.«
Dass Ernst Jüngers »Kriegstagebuch 1914–1918« ausgerechnet in diesem Herbst erschien, ist natürlich ein
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