Das kurze Glueck der Gegenwart
historischen Schwarzweißfotos aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, auf denen Rotkreuzschwestern mit Häubchen und Invaliden an Krücken zuversichtlich lächelnd vor Krankenwagen mit hölzernen Radspeichen posierten, im Hintergrund der zweiflüglige Bau, der heute noch das Zentrum des Krankenhauses bildet, damals aber das einzige Gebäude gewesen war.« Das könnte man fast wie einen Wink an Ernst Jünger verstehen, lägen nicht Welten zwischen Kleebergs Moralismus und Jüngers unerschütterlichem Habitus des Kriegers, der nach einem harten Tag auf dem Schlachtfeld höchstens abends mal einen über den Durst trinkt: »Heut wurde ein Mann getötet beim Handgranatenwerfen. Er hatte aus Angst die Granate nicht weggeworfen. Abends sehr lange Kasino.« Aber Kleeberg hatte vielleicht eher eine Hommage an einen Klassiker der zeitgenössischen Antikriegsliteratur im Sinn: an Pat Barkers eindrucksvoller »Regeneration«-Trilogie über den Ersten Weltkrieg, die sich an Leben und Werk von Siegfried Sassoon und Wilfred Owen orientierte (1991–1995).
In diesem geschichtsträchtigen Setting also lernen sich Hélène und David kennen und führen Gespräche – stets stellvertretend für ein ganzes Jahrhundert voller Kriege. Leider merkt man den Figuren, deren Liebe auch nicht gerade viel Leidenschaft, geschweige denn Erotik entwickelt, diese Last des Repräsentativen auch an. Ein typischer Dialog: »Was haben Sie gegen Soldaten? – Ich habe nichts gegen Soldaten, aber alles gegen Krieg. Und vielleicht auch gegen das, was er aus Soldaten macht. Und ohne Soldaten kein Krieg. – Ohne Soldaten auch kein Frieden, sagte er.« Vielleicht hat man Anfang der Neunziger, als in manchen Stadtvierteln in Deutschland aus jedem zweiten Fenster eine »Pace«-Fahne hing, tatsächlich auf derart naive Weise gesprochen. In Frankreich kann ich mir das allerdings schon weniger vorstellen.
Der Roman leidet allerdings an zwei ganz anderen Schwächen: Kleeberg ist ein sehr kluger Autor. Er hat ganz offensichtlich die Kriegsliteratur und vor allem auch Kriegsliteraturtheorie genau studiert und so lässt er seinen Amerikaner auf Hélènes Drängen, ihr vom Krieg zu erzählen, einen blitzsauberen poetologischen Vortrag halten: »Er erklärte seine Schwierigkeiten mit dem Dilemma, einerseits eine kohärente Geschichte erzählen zu wollen, sei es, weil man beim Erzählen oder Berichten einen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben und bieten will, sei es, weil Erinnerungen erst dann mitteilbar sind, wenn man sie von oben und außen, von fern und als Ganzes wahrnimmt. Andererseits, sagte er, habe er eben nur Einzelheiten, Fetzen, Eindrücke zu bieten, Erinnerungssplitter, dazu noch aus der Maulwurfsperspektive gesehen, die sich zu nichts Logischem zusammenfügten.«
Ist es Absicht oder unterläuft es Kleeberg, dass er von »Fetzen« und »Splittern« spricht, als ginge es nicht um eine Story, sondern eine Handgranate? Theoretisch liest sich solche moderne Erzählskepsis immer gut, das Problem ist nur, dass David eben am Ende doch eine sogar noch einigermaßen chronologische Geschichte seines Einsatzes erzählt – und danach eben auch ein psychotraumatologischer Laie versteht, warum David nicht mehr einsatzfähig ist: Nicht nur musste er das Abschlachten wehrloser Kolonnen irakischer Truppen noch Tage nach dem Waffenstillstand aus nächster Nähe miterleben, schließlich trägt er auch noch Mitschuld an einem Massaker an irakischen Kindern. Kleebergs Geschichte geht also perfekt auf – wie in einem Lehrbuch für Therapeuten.
Das zweite Problem des Romans ist in doppeltem Sinne sein Geburtsfehler, und da rückt die scheinbar völlig andere Geschichte plötzlich nah an Niermann/Wallaschs »Deutschen Sohn« heran. Es ist die seltsame Parallelisierung der In-vitro-Therapie Hélènes mit den Kriegsschilderungen Davids. Soll es allein das absurde Missverhältnis zwischen den kostspieligen und schmerzhaften Bemühungen ums Schwangerwerden und das tausendfache Hinschlachten von Menschenleben (auch vielen Kindern) im Krieg sein? Das ist ein bisschen viel Aufwand für einen wahren, aber doch sehr naheliegenden Gedanken.
Kleeberg gerät hier auf ganz ähnliche Abwege wie seine jüngeren Kollegen. Die Befruchtung Hélènes ist sein persönliches Feuchtgebiet. Wie die Kriegswunde des »Deutschen Sohns« eine männliche Antwort auf die Unterleibsprobleme deutscher Töchter ist, so sind die Qualen Hélènes die weibliche Antwort auf das männlich-soldatische Prinzip des
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