Das Labor der Esper
Und selbst dann mußte man vorsichtig sein.
Alf Jarman hatte zweifellos während seiner mehr als siebzig Lebensjahre des öfteren »Stimmen in seinem Kopf« gehört. Aber jemand aus seiner sozialen und kulturellen Schicht konnte nicht offen über solche Dinge reden, ohne daß die anderen ihn auslachten oder bedeutungsvoll an die Stirn tippten. Lieber hielt man den Mund, als daß man seinen Ruf gefährdete. Der Gedanke an das Verhalten seiner Umgebung war so stark, daß er nach einiger Zeit seine Betrachtungen über das Phänomen aufgab besonders, als er merkte, daß andere Leute ähnliche Erfahrungen kannten und aus den gleichen Gründen darüber schwiegen. Nur ein Taugenichts, ein Wahnsinniger oder ein Heiliger würde das Thema angesichts des gesellschaftlichen Druckes weiterverfolgen – und Alf Jarman war keiner von ihnen. Er arbeitete immer noch im Freien, und seine knorrigen Hände halfen bei den vielen kleinen Beschäftigungen, zu denen ein ausgedienter Farmarbeiter noch fähig war. Er wußte nur, daß man ihn hierhergeholt hatte, weil ihn ein unbekannter Freund als Gärtner für den vernachlässigten Park von Portfield empfohlen hatte.
Die Telepathie traf keine bestimmte Personenauswahl. Sie schien in keiner Beziehung zur Intelligenz, Ausbildung oder sonst einem feststellbaren Faktor zu stehen. Und in den meisten Fällen blieb sie verborgen oder zumindest unerkannt. Bei den drei anderen Versuchspersonen, die Barbara und Peter Moray während ihrer Suche entdeckt hatten, mußte man nun vorsichtig das Bewußtsein für die Fähigkeit wecken und trainieren. Alfred Jarman war eine unglückliche Ausnahme. Sogar Barbara konnte erkennen, daß der Gedankenprozeß des alten Mannes bereits so festgefahren war, daß er neues Wissen nicht mehr aufnehmen konnte. Das grausame Voranschreiten der Senilität hatte schon ganze Zellblöcke seines Gehirns abgeriegelt und ihnen das kostbare Blut entzogen. Ohne diese lebenswichtigen Zellen konnte Alfred Jarman nie ein voll ausgebildeter Telepath werden, und Barbara fand wenig Trost in der Tatsache, daß die meisten Telepathen starben, ohne eine Ahnung von ihrem Talent zu haben.
Das Herbringen von Alfred Jarman war in gewissem Sinne eine symbolische Handlung gewesen. Sie wollte zeigen, daß sie ihre Begabung für das Wohl der Menschheit zur Verfügung stellen würde, sobald Viktors Probleme gelöst waren. Obwohl er sie nicht ausdrücklich dazu ermutigt hatte, war sie überzeugt davon, daß er ebenso denken würde, sobald er seine Schwierigkeiten überwunden hatte. Und dann konnten sie gemeinsam an diesem Ziel arbeiten.
»Alles in Ordnung, Miß?«
Seine Stimme schreckte sie aus den eigenen Betrachtungen hoch. Sie sah auf. Er beugte sich über sie, und sein runzliges, dunkles Gesicht wirkte besorgt.
»Tut mir leid, Mister Jarman – ich träume am hellichten Tage«, meinte sie entschuldigend. »Ich glaube, wir haben für den Moment alle nötigen Auskünfte. Jetzt sehen wir mal nach, ob man Ihnen ein Zimmer zurechtgemacht hat.«
»Ein Zimmer?«
»Ja – es müßte eigentlich schon fertig sein.« Sie griff nach dem Telefon, um den Hausmeister anzurufen.
»Warten Sie noch, Miß!« Das Gesicht des Alten wirkte plötzlich erregt. »Sie hatten mir nicht gesagt, daß ich dableiben muß. Sonst wäre ich nicht gekommen – ich muß heim, wissen Sie.«
»Ich dachte, Sie leben allein, Mister Jarman. Weshalb ist es denn so schwierig, die Nacht über bei uns zu bleiben?«
»Das ist es nicht, Miß.« Er fuhr sich mit der knorrigen Hand über den kahlen Schädel. »Ich gehe abends immer heim, immer – und Lady ist auch noch da und alles mögliche.« Das Bild eines alten, triefäugigen, braun-weißen Spaniels zeigte sich deutlich in Alfred Jarmans Gedankenstrom – so stark, daß sich Barbara Vorwürfe machte, nicht früher darauf geachtet zu haben. Jetzt in seiner Aufregung wurde klar, daß die große Zuneigung des alten Mannes zu seinem Hund einer der stärksten Faktoren seiner Existenz war. Ohne den Hund würde er sich nirgends für immer niederlassen.
»Vielleicht könnten wir ihn mit einem Auto holen lassen?« schlug sie vor.
»Ich glaube nicht, daß das geht.« Alf Jarman schüttelte den Kopf. »Er ist nicht mehr so jung wie früher, nein, das ist er nicht. Und dann geht er mit keinem mit – ich müßte schon selbst mit ihm reden.«
Barbara, die seinen Gedankenstrom verfolgt hatte, machte plötzlich eine Entdeckung, die ihr den Atem verschlug. »Dann machen wir es so, Mister
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