Das Labyrinth der Ratten
»Zusätzlich zu allem anderen könnten Sie nach sowjetischem Gericht angeklagt werden, weil Sie Sicherheitsoperationen behindern. Die Anklage würde auf Hochverrat lauten, zu bestrafen mit dem Tod durch Erschießen. Warum halten Sie also nicht einmal in Ihrem Leben den Mund?« Er wirkte ernsthaft zornig; er hatte die Fassung verloren, und sein Gesicht war dunkelrot.
Lilo murmelte auf Deutsch: »Ihr Sowjetgericht können Sie sich irgendwohin stecken ...«
Dr. Todt warf mit Nachdruck ein: »Mein Patient, Mr. Powderdry, scheint, vor allem wegen des Wortwechsels eben, unter starkem Streß zu stehen. Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich ihm ein Beruhigungsmittel gebe, Major?«
»Nur zu, Doktor«, sagte Geschenko mürrisch. Er winkte kurz und ließ seinen Untergebenen abtreten – ohne ihm neue Anweisungen gegeben zu haben, wie Lars feststellte.
Dr. Todt zog mehrere Flaschen aus seiner schwarzen Arzttasche, eine flache Dose, einige Bogen mit Medikamentenmustern, wie sie von den großen Pharmahäusern in unvorstellbaren Mengen auf der ganzen Welt verteilt wurden, neue, noch unerprobte Drogen, noch nicht auf dem Markt; er hatte sich stets auf ermüdende Weise für das Modernste an Medikamenten interessiert. Todt murmelte Berechnungen vor sich hin und sortierte die Mittel, verloren in seinem eigenen Universum.
Wieder brachte ein Untergebener Geschenko ein Schriftstück. Der Major überflog es stumm, dann sagte er: »Ich habe erste Angaben über den Künstler, der den Schund vom Blauen Mann hervorbringt. Möchten Sie hören?«
»Ja«, nickte Lars.
»Mir könnte nichts unwichtiger sein«, sagte Lilo.
Dr. Todt kramte in seiner prallen Arzttasche.
Major Geschenko las aus dem Schriftstück vor und faßte für Lars zusammen, was der sowjetische Nachrichtendienst mit Höchstgeschwindigkeit an Informationen beschafft hatte.
»Der Zeichner heißt Oral Giacomini. Ein Weißer italienischer Herkunft, der vor zehn Jahren nach Ghana ausgewandert ist. Er kommt regelmäßig in eine Nervenklinik nach Kalkutta und verläßt sie wieder – keine, die einen sehr guten Ruf besitzt. Ohne Elektroschock und Thalamus-Hemmer würde er sich in einem vollkommen autistisch-schizophrenen Dämmerzustand befinden.«
»Mein Gott«, sagte Lars.
»Ferner ist er Ex-Erfinder. Zum Beispiel seine Evolutionskanone. Er hat wirklich eine gebaut, vor ungefähr zwölf Jahren, in Italien patentiert. Vermutlich für den Einsatz gegen das österreichisch-ungarische Reich.« Geschenko legte das Schriftstück auf den Tisch; es bekam sofort Kaffeeflecken, aber das schien ihn nicht im mindesten zu stören, bemerkte Lars; der Major war genau so angewidert wie er selbst. »Oral Giacominis Ideen, wie sie von den zweitklassigen Psychiatern in Kalkutta analysiert wurden, bestehen aus wertlosen, grandiosen, schizophrenen Wahnvorstellungen von der Weltmacht. Und das ist die wahnsinnige Null, deren Geist Sie ...« er schüttelte hilflos die Faust gegen Lars und Lilo – »sich ausgesucht haben, um ihn zur Inspiration für Ihre ›Waffen‹ anzuzapfen!«
»Na ja«, sagte Lars nach einer Pause, »so ist das in der Waffenmodebranche.«
Dr. Todt klappte endlich seine Arzttasche zu und betrachtete die anderen.
»Haben Sie mein Beruhigungsmittel?« fragte Lars. Dr. Todt hatte etwas in den Händen, nicht sichtbar auf seinem Schoß.
»Ich habe hier eine Laserpistole«, sagte Dr. Todt. Er zeigte sie und zielte auf Major Geschenko. »Ich wußte, daß sie irgendwo in meiner Tasche lag. Sie sind festgenommen, Major, weil Sie einen Wes-Block-Bürger gegen seinen Willen gefangenhalten.«
Er griff nach einem Gegenstand auf seinem Schoß, einem winzigen Funksprechsystem, komplett mit Mikrophon, Kopfhörer und Antenne. Er schaltete es ein und sagte in das flohgroße Mikrophon: »Mr. Conners? C.F. Conners, bitte?« Er erklärte für Lars, Lilo und Major Geschenko: »Conners ist Leiter der FBI-Operationen hier in Fairfax. – Ähm. Mr. J.F. Conners? Ja. Wir sind im Motel. Ja. Zimmer Sechs. Wo man uns zuerst hingebracht hat. Offenkundig hat man die Absicht, Mr. Powderdry in die Sowjetunion zu befördern, wenn man Miss Toptschew zurückbringt, und wartet im Augenblick auf die Abholung. Es wimmelt hier von KWB-Agenten, also – gut, okay. Danke. Ja. Nochmals vielen Dank.« Er schaltete die Anlage ab
und verstaute sie wieder in seiner Arzttasche.
Sie saßen regungslos, stumm, und nach kurzer Zeit wurde es vor der Tür zum Motelzimmer laut. Ächzen, Brummen, gedämpftes Poltern, eine
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