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Das Labyrinth der Wörter

Titel: Das Labyrinth der Wörter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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Und sie verlangt keine Gegenseitigkeit – siehe: wechselseitiges Verhältnis .
    Zwischen uns beiden gibt es also kein Gerechtigkeitsproblem.
    Eines Tages hat sie zu mir gesagt: »Ich habe Glück, dass es dich gibt.«
    »Warum?«
    »Weil ich dich liebe.«
    Was wollen Sie da machen? Früher hätte ich mich über so was kaputtgelacht. Ich hätte es abends in der Kneipe erzählt. Aber an dem Tag, wo sie mir das gesagt hat, hatte ich schon angefangen, mir Gedanken über das Leben zu machen. Ich hatte ganz neue Sachen erlebt, Gefühle, vor allem wenn wir Liebe machten. Deshalb habe ich ihr zugehört, ohne zu antworten. Ich habe nicht gelacht. Ich glaube, ich fing an, den Unterschied zwischen Sex und Liebe zu begreifen. Und – das nur nebenbei gesagt, für diejenigen, die die Erfahrung noch nicht selbst gemacht haben – der Unterschied ist ganz leicht zu erkennen: Wenn man liebt, dann bekommen die Dinge eine weniger komische Seite. Eine ernste Seite sogar. Man denkt an den anderen, und auf einmal wird einem ganz schummerig, und man sagt sich: »Mannomann!«
    Und das kann einem verdammt Angst einjagen, glauben Sie mir.
    Ich hätte schon früher hellhörig werden können, nämlich dann, als ich angefangen habe, in meinem Inneren »Liebe machen« zu denken, zum Beispiel: »Ich würde gern mal wieder mit Annette Liebe machen« statt »eine Nummer schieben« oder so.
    »Liebe machen«, das ist wirklich ein Frauenausdruck, von dem ich nie geglaubt hätte, dass ich ihn mal benutzen würde. Aber man soll ja niemals nie sagen.
    Oder dass ich Annette manchmal plötzlich vor Augen hatte, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit, mit ihren verschwitzten Haarsträhnen über der Schläfe, ihrer Angewohnheit, sich auf die Lippen zu beißen, wenn es lustvoll wird, den kleinen Schreien, die sie dabei ausstößt, all so was. Oder dass ich sie mir überhaupt vorstellte, nicht nur im Bett, und mir sagte, dass sie schön ist.
    Am komischsten war es, als ich aufgehört habe, sofort aufzustehen, wenn wir miteinander geschlafen hatten. Als ich angefangen habe, ganz ruhig bei ihr liegen zu bleiben, mit ihrem Kopf auf meiner Schulter, ohne dass ich Lust hatte, abzuhauen oder sie aus dem Bett zu schmeißen. Da habe ich kapiert, dass ich auf eine schiefe Bahn geraten war. Ich habe mir gesagt, dass ich aufpassen musste. Dass ich ihr nicht zu deutlich zeigen durfte, wie wohl ich mich mit ihr fühlte. Ihr nicht zu viele Schwächen zeigen, einfach nicht zu weit aus der Deckung rausgehen.
    Landremont sagt oft: »Es gibt nichts Gefährlicheres für einen Mann, als sich zu verlieben.«
    Ich antworte darauf: »Worte, nichts als Worte!«
    Erstens war Landremont wahnsinnig in seine Frau verliebt. Und zweitens ist er ein Idiot, das habe ich Ihnen ja schon gesagt.

 
    A uch bei Margueritte habe ich am Anfang total aufgepasst. Ich wollte ihr nicht gleich zeigen, dass ich sie witzig fand und dass sie mir lauter Sachen beibrachte. Ich wollte auch nicht zu vertraulich werden, was ganz gut war, weil sie selbst ebenfalls eher zurückhaltend und etwas zugeknöpft blieb. Freundlich, verstehen Sie? Aber höflich.
    Normalerweise nehme ich mich vor solchen Leuten in Acht. Leuten wie Jacques Devallée oder wie Berthaulon, dem neuen Bürgermeister, die so kompliziert daherreden, dass vor lauter Schnickschnack gar nichts mehr übrig bleibt. Wenn die dich verarschen wollen, dann machen sie das so höflich, dass du dich am Ende noch dafür bedankst.
    Bei mir ist das anders. Ich bin nicht »wohlerzogen«. Nach mir hat man zu Hause mit Steinen geworfen wie nach einem streunenden Köter. (Das ist natürlich bildlich gesprochen. Meine Mutter war zwar plemplem, aber so schlimm dann doch wieder nicht.)
    Deswegen bin ich nicht immer ganz salonfähig. Die Leute finden mich etwas grob, ich weiß. Wenn ich mich ausdrücken will, merke ich, dass ich die anderen schockiere. Ich sehe, wie sie leicht den Mund verziehen oder die Nase rümpfen, als würde was stinken.
    Das Problem ist: Ich sage das, was ich denke, mit den Wörtern, die ich gelernt habe, und das begrenzt die Sache natürlich etwas. Wahrscheinlich wirke ich deshalb zu direkt, weil ich immer ganz geradeaus rede. Aber warum soll man das Kind nicht beim Namen nennen? Ein Arschloch ist ein Arschloch – ich kann doch nichts dafür, dass es diese Wörter gibt. Ich benutze sie, das ist alles. Kein Grund, sich künstlich aufzuregen.
    Gleichzeitig habe ich deshalb Komplexe. Nicht unbedingt, weil von fünfzehn Wörtern, die ich sage,

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