Das Labyrinth der Wörter
er sexuelle Versuchungen erlebt. Solange es der Hygiene nicht schadet, ist das schließlich kein Verbrechen.
Jojo fügte noch hinzu: »Ich verrate es dir, aber es bleibt unter uns, ja? Die neue Flamme ist Stéphanie.«
»Ach du Scheiße!«
»Das kannst du laut sagen, aber pscht!«
Stéphanie ist ein ganz junges Ding, gerade mal achtzehn. Francine lässt sie manchmal am Tresen arbeiten, wenn viel los ist.
Als Francine schniefend wieder zurückkam, habe ich sie getröstet, so gut ich konnte.
»Wirst sehen, er hat sie sicher bald satt, seine Stéphanie! Und Youss ist doch ein Pantoffelheld, er hängt an seinen Gewohnheiten. Er weiß genau, dass in alten Töpfen das beste Essen gekocht wird.«
Francine hat mich ganz ungläubig angeschaut, »Oooh …« gemacht und ist wieder heulend rausgerannt.
Jojo hat die Arme ausgebreitet. »Himmel Herrgott, du bist echt nicht zu übertreffen!«
»Ach, ist doch ganz normal, wenn man helfen kann.«
Als sie zurückkam, habe ich Francine weiter gut zugeredet, habe ihr gesagt, dass es die innere Schönheit ist, die zählt, auch wenn sie nicht mehr ganz frisch ist. Als Beispiel habe ich ihr von Monsieur Massillon und seinem schwarzen Simca Versailles von 1956 erzählt, der aussieht wie ein dicker Ozeandampfer, aber man kann sich über ihn lustig machen, so viel man will – man hat ihm für die Kiste über 7000 Euro geboten, also bitte!
Sie hat viel geweint, die arme Francine.
Die Frauen sind so, sie müssen immer in Tränen zerfließen. Am Ende habe ich sie in Jojos Armen zurückgelassen, weil es langsam peinlich wurde: Jedes Mal, wenn ich irgendwas sagte, um sie aufzumuntern, ging die Flennerei wieder von vorn los. Es gibt Leute, die können nicht anders, die sind für Trost nicht zugänglich.
Jojo meinte, ich bräuchte nicht gleich wiederzukommen, damit sie sich beruhigen könnte.
»Keine Sorge«, sagte ich. »Ich muss sowieso noch was einkaufen.«
»Ja genau, geh einkaufen! Und lass dir Zeit!«
Also ließ ich ihn mit Francine allein. Ich fühlte mich ganz nachdenklich nach dieser Geschichte.
Die Sorgen der anderen sind im Grunde etwas Nützliches: Man kann sich freuen, dass man nicht die gleichen hat. Aber man kriegt Panik bei dem Gedanken, dass sich das ändern könnte.
In dem Fall sagte ich mir, auch wenn es dafür noch keineAnzeichen gibt, dass es mit Annette und mir eines Tages genauso aussehen wird. Sie ist sechsunddreißig, ich bin fünfundvierzig. Irgendwann werden wir nicht mehr auf der gleichen Wellenlänge sein.
Das ging mir im Supermarkt alles noch im Kopf rum.
A nnette und ich, wir verabreden uns nicht, das ist nicht nötig. Mal ist sie da, wenn ich bei ihr vorbeischaue, mal nicht. Und umgekehrt genauso. Wir sind freie Menschen.
Die Freiheit ist eine Sache, die mir wichtig ist, auch wenn ich nie so genau weiß, was ich damit anfangen soll.
Ich hänge sehr an meiner Unabhängigkeit. Vor allem in meinem Verhältnis zu Frauen – und wenn ich Verhältnis sage, dann meine ich das natürlich im Sinn von: Beziehung zwischen Menschen , aber auch im besonderen Sinn: intime Beziehung, Liebesverhältnis .
Lange Zeit fand ich die Frauen lästig, weil sie nach den Zärtlichkeiten immer gleich mit ihren Interviews anfangen, wenn man einfach nur in Ruhe daliegen will: »Liebst du mich? Denkst du manchmal an mich? Und wenn du an mich denkst, was denkst du da? Fehle ich dir, wenn ich nicht da bin?«
Ich muss dazusagen, dass es mir verdammt schwerfiel, den Unterschied zwischen lieben und vögeln zu erkennen. Was für Liebesbeweise wollten sie denn noch, nachdem sie gerade das Beste von mir bekommen hatten?
Es war vor allem das »Liebst du mich?«, das mir die Kehle zuschnürte. Wie Sie wissen, traue ich den Wörtern nicht so richtig. Lieben, das ist ein gewaltiges Wort, daran muss man gewöhnt sein. Wenn es einem von klein auf jeden Tag vorgesagt wurde, dann bringt man es sicher leichterraus. Aber wenn man es bis ins Erwachsenenalter nicht gehört hat, dann ist es zu groß, um rauszukommen, es bleibt einfach stecken.
Die Mädchen im Allgemeinen sind anders als wir. Ihre Liebe ist anhänglich, sie überschütten einen mit Zärtlichkeiten, die sich anfühlen können wie Handschellen und die dazu führen – bei mir jedenfalls –, dass man am liebsten abhauen will. Deshalb schätze ich meine Annette umso mehr. Sie liebt mich einfach, und das ist schon mal ein großer Pluspunkt für sie, denn normalerweise löse ich nicht gerade stürmische Leidenschaft aus.
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