Das Labyrinth der Wörter
zwölf unanständig sind, sondern, weil fünfzehn Wörter nicht immer genug sind, um alles zu sagen.
Landremont meint, die Macht wird immer den Rednern gehören. Und darauf reitet er ewig rum, er haut auf den Tisch und macht ein zufriedenes Gesicht, weil er sich selbst ganz klar dazuzählt: »Den Rednern, Germain …! Hörst du? Den Red-nern!«
Aber er kann sich aufspielen, wie er will, deswegen ist er noch lange nicht der König der Welt.
Er redet besser als ich, klar. Aber was hat er davon, wenn er eigentlich nichts zu sagen hat?
Kurzum: Auch wenn Margueritte ganz harmlos wirkte mit ihrem freundlichen Gesicht und ihren Schachtelsätzen, sagte ich mir, dass auch sie mich eines Tages bestimmt behandeln würde wie einen armen Trottel. Aber sie hat immer mit mir geredet, als wäre ich jemand.
Und das, verstehen Sie, das macht einen ganz neuen Menschen aus einem.
W enn Margueritte von sich erzählt, sieht sie so glücklich aus, das können Sie sich nicht vorstellen. Ihr Leben muss süß wie Marmelade sein, so sehr leuchten dann ihre Augen.
Meins schmeckt eher wie Kotze, und das ist jetzt nicht bildlich gesprochen.
Margueritte ist in der ganzen Welt rumgekommen. Wüsten, die Savanne und was es sonst noch alles gibt. Wenn man sie so sieht mit ihrem Blümchenkleid, ihren dünnen Beinchen und ihrem frommen Gesicht, dann sagt man sich, sie muss früher Nonne, Krankenschwester oder Lehrerin gewesen sein. Aber nein, sie zog los, um bei den Kopfjägern zu leben, sie schlief unter Moskitonetzen. Ich muss lachen, wenn ich nur dran denke. Ich schaue sie an und sage mir, diese kleine Alte, die ist schon wer!
Sie erzählt von unglaublichen Abenteuern und sagt, dass alles, was passiert, dazu da ist, uns als Lehre oder Beispiel zu dienen und uns daran wachsen zu lassen. Was das Wachsen angeht, habe ich eigentlich genug. Aber die Sache mit der Lehre, die beginne ich langsam zu verstehen, glaube ich.
Wenn alles immer einfach wäre, gäbe es dann überhaupt noch Glück? Es muss entweder wie ein Geschenk vom Himmel fallen oder hart erarbeitet werden, denn wenn es nicht mehr selten oder teuer wäre, dann wäre ja der ganze Reizweg. Das ist nicht sehr gut gesagt, aber Hauptsache, ich mache mich verständlich. Glücklich sein, das hat viel mit Vergleichen zu tun.
Und außerdem gibt es eine Menge Leute auf der Welt, für die das Glück auf ähnliche Weise ausstirbt, wie die Jíbaros, die Gorillas oder das Ozon aussterben. Es bekommen nicht alle gleich viel ab. Das wäre ja bekannt, wenn das so wäre.
Das Glück ist eben nicht kommunistisch.
E ines Tages habe ich Margueritte von all den Fragen erzählt, die mir in letzter Zeit durch den Kopf gehen – seit ich sie kenne, glaube ich, aber das habe ich mich nicht zu sagen getraut.
Ich habe erklärt, dass ich daran nichts ändern könnte, es käme mir hoch wie der Knoblauch von der Lammkeule: lauter Wies und Warums , dass mir fast der Schädel platzt.
Margueritte hat gelächelt.
»Warum lächeln Sie?«
»Weil Sie sich so viele Fragen stellen … Das gehört zum Wesen des Menschen.«
Ich hätte fast gesagt, dass das Wesen des Menschen dann wohl vor allem bei den Frauen zu finden ist, denn die brüten zehnmal am Tag eine ganze Kiste voller Fragen aus. Aber ich wollte sie schließlich nicht beleidigen, deshalb meinte ich nur: »Na ja, solange ich Antworten finde …«
Sie hat genickt. »Tja, Antworten werden Sie nicht immer finden. Aber was zählt, sind die Fragen, meinen Sie nicht auch, Germain?«
Oje, dachte ich, wenn ich jetzt meine Meinung sagen soll, kann das ja heiter werden. Aber gleichzeitig – das ist das Erstaunliche – kann man Margueritte nicht ohne Antwort lassen. Wenn Sie sie sehen würden … Sie hat so eine Art zu warten, mit ihrem artigen Gesichtsausdruck, beide Händeflach auf ihrem Kleid, den Rücken kerzengerade … eine Art zu sagen: »Meinen Sie nicht auch, Germain?«, dass man sich gezwungen fühlt, irgendwas zu ihrer Frage zu denken. Egal was, aber schnell, verdammt! Wenn man nämlich nichts sagen würde, käme man sich vor wie ein Verräter. Wie ein unfähiger Weihnachtsmann, der am Heiligabend mit leeren Händen dasteht.
Also habe ich geantwortet: »Na ja, wenn man seine Zeit damit verbringt, sich Fragen zu stellen, ohne darauf Antworten zu bekommen, dann weiß ich nicht, was das bringen soll, ehrlich gesagt.«
»Aber ich bin mir sicher, dass Ihnen das schon oft so ergangen ist.«
»Was?«
»Nun … Hatten Sie noch nie das Gefühl,
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