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Das Labyrinth der Wörter

Titel: Das Labyrinth der Wörter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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schlappmachen?«
    Germain, halt die Klappe. Denk erst nach, bevor du redest.
    Ich dachte, dass sie dann nicht mal mehr Scrabble oder Lotto spielen konnte, und das würde ihr fehlen, auch wenn ich persönlich den Sinn dieser Spiele nicht so ganz kapiere.
    Ich lief herum und drehte mich im Kreis wie eine Katze, der man die Klokiste versteckt hat. Ich sagte mir, dass Margueritte nicht so robust ist, wie man meint, da darf man sich nicht täuschen. Sie ist leicht wie eine Feder und steinalt. Ein Luftzug, und sie holt sich einen Schnupfen. Aber Schwäche zeigen? Um Himmels willen! Sie lacht und lacht, aber wie will sie denn zurechtkommen, ganz allein im grauen Nebel,ohne ihre Bücher, die ihr Gesellschaft leisten, wo sie schon keine Kinder hat? Das traf mich wie hundert Faustschläge ins Gesicht, verstehen Sie? Und da habe ich gedacht – aber nur so und noch ganz unklar –, dass ich Margueritte nicht fallenlassen konnte. Selbst wenn ich es wollte, es war längst zu spät, sie hatte mich fest in ihren Händen, diese zerbrechliche Alte mit ihrem kleinen Lachen, ihrem Blümchenkleid und ihren lila Haaren. Sechsundachtzig Jahre, um dann mit einem weißen Stock zu enden? Verdammt noch mal, was für einen Bockmist baute der Herrgott da eigentlich gerade? Sein Pech, wenn Ihm diese Frage nicht passt – wer keine Kritik verträgt, sollte besser nichts erfinden.
    Ich sagte mir immer wieder: Margueritte wird das Augenlicht verlieren, und ich, ich werde Margueritte verlieren und unsere Gespräche auf der Bank und das ganze »Mein lieber Germain, wissen Sie …«.
    Wenn sie nichts mehr sieht, wird sie auch nicht mehr in den Park kommen, und es wird alles hin sein: die Merkzettel, damit ich mich zurechtfinde, wenn ich im Wörterbuch was suche. Und die Bücher und alles andere.
    Dann habe ich mir gesagt: Auch wenn ich mich noch so anstrenge, ich werde ihr Schicksal nicht ändern können. Diese Mistkrankheit mit dem bekloppten Namen wird sich nicht von ihrem Ziel abbringen lassen, Margueritte blind zu machen.
    Und diese Vorstellung machte mich völlig fertig.
    Wenn man jemanden liebt, der unglücklich ist, dann macht der allein einem mehr Kummer, als wenn alle zusammen, die man nicht leiden kann, einem das Leben schwermachen.
    Margueritte hatte eines Tages einen gewissen Monsieur Bâ zitiert, einen Schriftsteller aus Afrika, der eine ganz einfache, aber sehr wahre Sache gesagt hat: Wenn ein alter Mensch stirbt, verbrennt eine ganze Bibliothek , oder so ähnlich. Und das traf den Nagel auf den Kopf, es war genau das Problem, das ich jetzt hatte. Ich war mir vollkommen einig mit Monsieur Bâ, auch wenn wir nicht die Ehre haben, uns zu kennen. Und in dem Fall war die Bibliothek, die angesteckt wurde, meine eigene. Pech gehabt! Und das Schlimmste war, dass sie genau in dem Moment abbrennen würde, wo ich sie endlich auf dem Stadtplan gefunden hatte.
    Und das war etwas, das nicht zu ertragen war, nicht einmal als Metapher.
    Es hatte mir zu sehr an Quellen und Brunnen gefehlt, könnte man meinen. Wenn es dem Herrn einfallen würde, mir jetzt das Wasser abzudrehen, dann würde ich auch heulen wie ein Hund. Weil eine Sache war klar: Margueritte war mir wichtig. So wichtig wie eine Großmutter oder sogar noch wichtiger, weil bei den echten ist es so, dass sie entweder unbekannt ist, wie bei mir väterlicherseits, oder dass man sie nur bei den großen Anlässen sieht, und an solchen Tagen beschimpft sie meine Mutter.
    Ich glaube, in dem Moment ist mir diese Idee gekommen. Die Idee, Margueritte zu adoptieren. Ich weiß, dass das nicht geht, eine volljährige Alte zu adoptieren. Aber das Gesetz ist an dieser Stelle schlecht gemacht. Ich sage Ihnen, man sollte das können! Wenn die Dinge wären, wie sie sein sollten, dann wäre es so gelaufen: Margueritte hätte eine Tochter gehabt. Und diese Tochter wäre später meine Mutter geworden – nicht wirklich meine, eine andere, viel bessere –, und ich wäre aus einer Liebesgeschichte zwischen meinem Vater und ihr entstanden und nicht nur aus Versehen. Und wir wären alle glücklich gewesen wie die Könige. So.
    Aber warum sollte der Herr es einfach machen, wenn es kompliziert geht? Ich sage das, ohne Ihn wieder kritisieren zu wollen, aber ich bin schon ein bisschen genervt.
    Ich dachte mir: Margueritte, die redet mit mir und hört mir auch zu. Wenn ich ihr Fragen stelle, antwortet sie mir. Es gibt immer was Neues, das sie mir beibringen kann. Wenn ich mit ihr zusammen bin, denke ich nie an die

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