Das Labyrinth der Wörter
Leere, die in meinem Kopf noch aufzufüllen ist, sondern nur an die Fülle, die ich ihr schon verdanke.
Deswegen kann man sich über mich lustig machen bis ans Ende der Zeit und mich völlig bescheuert finden, das ist mir egal: Margueritte war meine gute Fee. Mit ihrem Zauberstab hat sie mich in einen Gemüsegarten verwandelt. Ich war nichts als ein Stück Brachland, und durch sie habe ich auf einmal gefühlt, wie mir Blumen, Früchte, Blätter und Äste wuchsen … Das sagt Landremont immer, wenn er ein Mädchen anbaggert, obwohl ich nie so richtig verstanden habe, warum.
Margueritte war mein Quell der Weisheit. Und wegen diesem beschissenen Schicksalsschlag würde ich vielleicht auch bald klagen müssen: Es gibt keine Brunnen mehr, es gibt nur noch Fata Morganas , wie der arme Romain Gary sagt.
I ch hatte eine Stinkwut auf Gott, und diesmal habe ich nicht vor, mich dafür zu entschuldigen.
Dass er mir meine Wünsche nicht erfüllt, dass er ein Scheißleben für mich vorgesehen hat – geschenkt. Ich habe nie brav meine Gebete aufgesagt und den ganzen Kram. Das Vaterunser beherrsche ich in groben Zügen, ein Stückchen hier, ein Stückchen da, Dein Reich komme, Dein Wille geschehe, Amen, und weiter geht’s! Ich setze nie einen Fuß in die Kirche, außer wenn man mich zu Hochzeiten und Taufen einlädt, oder zu Beerdigungen.
Ich lebe sogar ein bisschen in Sünde, wenn man sich die Zehn Gebote anschaut.
Zum Beispiel das dritte: Ich habe schon oft Seinen Namen missbraucht , und die Tatsache, dass ich besoffen war, ist nicht unbedingt ein mildernder Umstand.
Was das fünfte angeht, Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, da hat Er seine Arbeit schlecht gemacht. Vater habe ich keinen. Und meine Mutter, die ertrage ich nicht mehr.
Bei Du sollst nicht ehebrechen habe ich mir nicht wirklich was vorzuwerfen, nur hat Er den Bogen da etwas überspannt, von wegen Schon wer eine Frau mit begehrlichen Blicken ansieht, der hat im Herzen mit ihr die Ehe gebrochen . Und damit bin ich draußen, weil die Frau von Julien und die von Jacques Devallée – tut mir leid, die sind einfach heiß.
Was das achte Gebot angeht, Du sollst nicht stehlen , bin ich auch kein unbeschriebenes Blatt, wegen meinem Messer und verschiedenen anderen Sachen, aber das brauchen wir jetzt nicht alles aufführen, wir sind ja nicht bei der Steuer.
Wenn man sich das alles anschaut, ist es kein Wunder, wenn der Herr mich in der Ecke stehenlässt, ich habe es herausgefordert und muss ganz still sein.
Aber Margueritte?
Sie ist nett, sie stört niemanden, sie liest vor wie im Radio, und dann trifft sie so ein Schlag? Das ist doch nicht normal, so eine Ungerechtigkeit! Dabei kenne ich welche, die ihre Zeit damit verbracht haben, anderen das Leben zur Hölle zu machen, und die mit fünfundneunzig friedlich in ihrem Bett sterben, rüstig bis zum Schluss. Man möchte meinen, dass die Galle böse Menschen so gut konserviert wie der Essig die Gurken.
Ich war so frustriert, dass ich schließlich mit Annette darüber geredet habe.
Das war keine einfache Sache, denn wenn man mal damit anfängt, sein Herz auszuschütten, weiß man nie, wo einen das hinführt.
Man meint, man packt zwei, drei Sachen aus und nichts weiter, aber das ist, wie wenn man Seife auf die Treppe geschmiert hat, ein Schritt zu viel, und bums, schon liegt man unten, total im Eimer, weil man so viel gesagt hat.
Tatsächlich kam es mir sehr indiskret vor, von Margueritte zu reden, in Bezug auf mich selbst. Ich hätte nicht gedacht, dass es so viel zu erzählen gäbe. Ich musste ja erst mal erklären, wo wir uns kennengelernt haben. Und vom Park erzählen, wo ich mehr oder weniger jeden Nachmittag rumhänge, weil ich allein zu Hause Zustände kriege, und in meinem Gemüsegarten will ich ja auch nicht den ganzenTag verbringen, vor allem, seit meine Mutter da immer die Vogelscheuche spielt. Und ich musste von den vielen Stunden erzählen, wo diese kleine Alte mir Geschichten vorgelesen hat. Von den Gesprächen, die wir miteinander führen, über das Leben, die Tauben, die Filzläuse und den ganzen Rest. Von den Büchern, die sie mir schenkt und die ich dann mit dem Leuchtstift und mit dem Finger buchstabiere, weil ich sonst durcheinanderkomme und dreimal die gleiche Zeile lese, und dann verstehe ich bald gar nichts mehr davon, was da steht. Ganz zu schweigen von dem Wörterbuch, das ich jetzt oft benutze, mit Hilfe der Merkzettel, die Margueritte mir macht – wie soll das denn
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