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Das Labyrinth der Zeit

Das Labyrinth der Zeit

Titel: Das Labyrinth der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Patrick
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sie und Travis, eng umschlungen auf dem Fußboden des verlassenen Korridors auf Ebene B42 sitzend. Schon nach gut zehn Sekunden wäre sie genau dorthin zurückversetzt.
    Eine so brachiale Attacke auf ihren Vater aber wollte sie gerne vermeiden. Dadurch würde das andere Vorhaben durchkreuzt werden, das sie hier in die Tat umzusetzen beabsichtigte. Ein Vorhaben, das denkbar logisch und naheliegend war, obwohl sie gern darum herumgekommen wäre.
    Noch ein Schritt. Und noch einer.
    Die Beschriftung der Karte wurde zusehends deutlicher, sie konnte sie nun fast schon entziffern.
    Ein weiterer Schritt.
    Sie konnte jetzt die Kennzahl auf der breiten, in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Überlandstraße erkennen: U.S. 550, keine Frage. Ein Highway in Colorado, wenn sie sich recht entsann. Direkt über und etwas links von dem Geflecht von Straßen stand ein Wort – der Ortsname wahrscheinlich. Ein kurzes Wort.
    Sie blinzelte angestrengt.
    Ouray.
    Ouray in Colorado. Den Namen hatte sie schon mal gehört. Einige Studienfreunde, die Skiferien in Telluride gemacht hatten, waren damals in diesem Ort abgestiegen.
    Das reichte im Grunde. Wenn sie gewollt hätte, hätte sie die Erinnerung jetzt beenden können.
    Und eigentlich hätte sie jetzt auch gerne einen Schnitt gemacht. Weil ihr vor ihrem zweiten Vorhaben im Stillen graute.
    Das einfach nur darin bestand, mit ihrem Vater zu reden.
    Es war nicht etwa so, dass sie nicht mit ihm reden wollte . Ganz im Gegenteil. Sie und ihr Vater hatten ein sehr enges Verhältnis zueinander gehabt, zumal in den letzten Jahren, die ihnen zusammen vergönnt waren, bevor sie ihn auf unbeschreiblich grausame Art und Weise verloren hatte. Als sie erstmals von den Fähigkeiten des Anzapfers erfuhr, hatte sie ernsthaft erwogen, ihn in der Erinnerung zu besuchen. Um ein paar fröhliche, schöne, herzerwärmende Momente mit ihm zu durchleben und damit das entsetzliche Ende zu ersetzen, das ihm im wahren Leben beschieden war.
    Aber sie hatte dem Impuls widerstanden. Immer. So real sich ein solches Beisammensein auch anfühlen würde, es wäre doch nur eine Simulation. Und irgendwie auch ein Sakrileg. Schon der Gedanke daran hatte ihr von Anfang an Unbehagen bereitet.
    Daran hatte sich bis jetzt nichts geändert.
    Sie sah ihn an, während er dort vor ihr saß, ohne ihre Gegenwart zu bemerken. Sie atmete tief ein und konnte sein Rasierwasser riechen. Es war unverkennbar, sie konnte sich nicht erinnern, es seit seinem Tod bei jemand anderem wahrgenommen zu haben. So viele Jahre lang war dieser Duft einfach Teil ihres Lebens gewesen, ein Hintergrundelement, kaum wahrnehmbar, aber dennoch immer da. Wenn sie nicht achtgab, würden ihr deswegen jetzt noch die Tränen kommen. Sie gab sich ihren Empfindungen noch einige Sekunden lang hin und verdrängte sie dann resolut.
    Um den Kopf frei zu haben für ihr Vorhaben.
    Lautlos wich sie von dem Schreibtisch zurück, drehte sich um und verließ das Büro wieder. Im Flur ging sie ein paar Schritte, blieb an einer Stelle etwa drei Meter vor der Tür stehen und wandte sich dann wieder um.
    Und räusperte sich vernehmlich.
    Sofort hörte sie ein Quietschen vom Stuhl ihres Vaters, gefolgt vom diskreten Klicken der Maus, als er eilig die Fenster auf seinem Bildschirm schloss.
    Sie ging zur Tür hinüber, steckte den Kopf hinein und sah, dass er gerade ein Dateiverzeichnis betrachtete. Sie klopfte an den Türrahmen, und er wandte sich zu ihr um.
    «Hey», sagte er.
    «Hey.»
    Spontan schnürte sich ihr die Kehle zusammen; sie war machtlos dagegen. Himmel, schon bei einem so banalen Moment wie diesem. Vielleicht gerade in einem solchen Moment. Weil sie unendlich viele solcher Momente zusammen durchlebt hatten – und noch hätten durchleben sollen.
    Sie schluckte, um ihre Beklemmung loszuwerden, und trat in den Raum. «Ich habe eine Frage.»
    «Schieß los.»
    Sie kam umgehend zur Sache. «Was genau war Skalar?»
    Er zuckte nicht direkt zusammen, das nicht. Es war wesentlich subtiler – ein kurzes Aufflackern von Furcht in seinen Augen und dann wieder völlige Ruhe. Er lehnte sich im Stuhl zurück und runzelte die Stirn, als würde er gerade sein Gedächtnis durchforsten.
    «Kommt mir bekannt vor», sagte er. «Warum, wo bist du auf den Namen gestoßen?»
    «Im Archiv. Im Schlagwortregister dort existiert zwar eine Seite dieses Namens, aber sämtliche Einträge sind ausgestrichen worden.»
    «Ach – jetzt fällt’s mir wieder ein. Lass mich raten, die Einträge stammen

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