Das Labyrinth der Zeit
der erste Schuss des SGIS abgefeuert wurde. Der Mann, der, streng genommen, die Pforte geöffnet hatte.
Für diese Ehre hatte Ward umgehend büßen müssen. Dem Tagebuch zufolge war er im selben Moment, als der Schuss abgegeben wurde, bewusstlos zusammengebrochen – womöglich hatte er einen Stoß erhalten, von dem Schalter selbst oder seinem Metallgehäuse – und in den folgenden Tagen nicht mehr zu sich gekommen. Travis hatte auch erfahren, wie es später mit ihm weitergegangen war. Ward war, noch immer bewusstlos, in ein Krankenhaus an der Ostküste verbracht worden, wo er in der Abteilung für Komapatienten landete. Das war alles, was Travis wusste, weil von der Geschichte nie wieder die Rede gewesen war, seit er sie damals erfahren hatte.
«Ich dachte, er wäre damals im Johns-Hopkins-Hospital verstorben», sagte Paige, «einige Monaten nach dem SGIS-Vorfall. Im April oder Mai 1978.»
«Das haben wir den Leuten auch erzählt», bestätigte Carrie. «Leuten, die erst später zu Tangent gestoßen sind, nachdem Skalar schon längst wieder abgeschlossen war. Damit sie keine unerwünschten Fragen stellten.»
«Und, wo ist er wirklich gestorben?», hakte Paige nach.
«In einem Hotelzimmer in Los Angeles, später im Sommer desselben Jahres. Am 12. August. Er hat die Komaabteilung im Johns Hopkins in der ersten Maiwoche aus eigener Kraft verlassen, war drei Monate lang völlig von der Bildfläche verschwunden und hat sich dann ein Hotelzimmer am Sunset Boulevard gemietet, wo er sich eine 38er in den Mund gesteckt und abgedrückt hat. Was uns alle damals nicht übermäßig überrascht hat, weil ja anzunehmen war, dass seine Psyche seit dem Unfall beim Fehlschlag des SGIS schlimm angeknackst war. Vielleicht tiefe Depressionen, vielleicht chronische Angstzustände. Mit diesen Folgen, haben wir uns zusammengereimt, hat er in jenem Sommer gerungen und sich am Ende entschieden, Schluss zu machen. Erst ein paar Jahre später mussten wir feststellen, dass wir uns geirrt hatten. Und zwar gründlich. Worauf Peter dann die Skalar-Ermittlung gestartet hat, um jene fehlenden drei Monate zu rekonstruieren. Er wollte unbedingt herausfinden, wo Ward sich in diesem Zeitraum aufgehalten und was genau er getan hatte – er war im Grunde verzweifelt darum bemüht, alles herauszufinden, was sich nur über ihn herausfinden ließ.»
«Wieso verzweifelt?», fragte Travis.
Carrie begegnete seinem Blick im Rückspiegel. «Weil Ruben Ward wusste, was sich auf der anderen Seite der Pforte befindet.»
11
Travis spürte, wie ihm ein eisiger Schauer über die Kopfhaut rieselte. Der nichts mit der kalten Luft zu tun hatte, die durch das Einschussloch im Wagendach hereindrang.
«Wie ist das möglich?», fragte Paige. «Wie sollte ein Mensch das herausfinden können?»
«Ich werde Ihnen alles erzählen, was ich weiß», sagte Carrie. «In chronologischer Reihenfolge.» Wieder legte sie erst eine kurze Denkpause ein, ehe sie weiterredete. «Nach seiner Bergung aus dem SGIS hat man Ward, der immer noch bewusstlos war, umgehend ins Johns-Hopkins-Hospital in Baltimore transportiert. Erst nach gut zwei Wochen ist er dort aus seinem tiefen Koma erwacht, aber immer nur phasenweise und nie ganz vollständig, eher so, als wäre er halb bei Bewusstsein. Er fing an, ein wenig zu reden, meist nur bruchstückweise und zusammenhanglos. Seine Frau hat immer an seinem Bett gesessen – Nora, seine einzige Angehörige. In einem seiner lichteren Momente hat Ward sie gebeten, alles aufzuschreiben, was er von sich gab, egal, wie merkwürdig es sich auch anhören mochte. Also hat sie das getan. Sie hat ein Notizbuch besorgt und jedes Wort von ihm schriftlich festgehalten. Später – sehr viel später – hat sie Peter erzählt, dass ihr sein Gerede wie reinste Science Fiction vorkam. Was sie auf die Bücher zurückführte, die Ward sein Leben lang gelesen hatte. Verrückt klingende Erzählungen von einem Wurmloch, außerirdischen Technologien und auch etwas über einen Krieg. Es schien alles völlig absurd – aber trotzdem in sich stimmig. Wie eine Geschichte eben.»
Sie schwieg eine Weile und fuhr dann fort. «In jenen Wochen im Krankenhaus wurde Ward rund um die Uhr bewacht. Beamte der Bundespolizei waren vor der Tür seines Krankenzimmers postiert. Verständlich, denn der Unfall im SGIS war eine so heikle Angelegenheit, dass für alles, was damit zusammenhing, Ward eingeschlossen, die höchste Sicherheitsstufe galt. Nach einer gewissen Zeit aber
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