Das Labyrinth des Maal Dweb
überquerte es ein gewaltiges Gebiet, dessen anfängliche sandige Einöde nach vielen Kilometern in Sumpfland überging. Inmitten der dortigen Schlammwasser, die den Mergelboden bedeckten, schwoll das mäandernde Rankengewächs zu unfassbaren Ausmaßen an, und die feisten Blätter überwucherten etwa anderthalb Kilometer des morastigen Bodens zu beiden Seiten des riesigen Stängels.
Hier wirkte das Grün des Laubwerks intensiver und leuchtender, gewann die Anmutung einer unbändigen, vor Leben strotzenden Üppigkeit. Die Ranke selbst war saftig bis zum Platzen und offenbarte einen speckigen Glanz, eine pralle Reife, die auf unheimliche und unpassende Weise an wohlgenährtes Fleisch gemahnte. Das Gebilde schien unter den Augen der Beobachter in gleichmäßigen, rhythmischen Abständen zu pulsieren wie ein lebendiges Geschöpf. An manchen Stellen wies der Schaft eigentümlich geformte Wölbungen oder Auswüchse auf, für deren Zweck niemand eine Erklärung fand.
Gaillard wandte die Aufmerksamkeit von Stilton ab und lenkte sie auf das sonderbare Pulsieren, das die Pflanze bezeigte – ein Pulsieren, das sich sogar auf die 100 Meter langen Blätter zu übertragen schien, die wie Reiherfedern bebten.
»Pah!«, versetzte Stilton und schüttelte den Kopf in einer Mischung aus Ungläubigkeit und Abscheu. »Dieses Pulsieren ist ein Ding der Unmöglichkeit. Bestimmt liegt es an unseren Augen. Womöglich haben wir es mit einer Beeinträchtigung der Sehschärfe infolge unserer Fluggeschwindigkeit zu tun. Entweder das, oder irgendeine Besonderheit der Atmosphäre bewirkt eine Lichtbrechung, die statischen Objekten den Anschein von Bewegung verleiht.«
Gaillard sah davon ab, Stilton darauf hinzuweisen, dass das behauptete Phänomen einer optischen Täuschung in diesem Fall auf die Pflanze beschränkt blieb, sich aber nicht auf ihre unmittelbare Umgebung erstreckte.
Kurz darauf erreichte das Gefährt eine gigantische Verzweigung des Gewächses. Die Männer erkannten, dass der Schaft, dem sie folgten, lediglich einer von dreien war, die einem noch größeren Stamm entsprossen und sich in unterschiedlichsten Winkeln über den Morastboden schlängelten, bis sie sich in entgegengesetzten Richtungen am Horizont verloren. Die Verbindungsstelle war von einer berghohen Doppelwölbung gekennzeichnet, die eine bizarre Ähnlichkeit mit menschlichen Hüften aufwies. Hier schien das Pulsieren stärker und deutlicher sichtbar denn je, und eine eigentümliche rötliche Marmorierung zeichnete sich auf der fahlen Oberfläche des Schaftes ab.
Die Gelehrten gerieten immer stärker in Aufregung angesichts der unerhörten Größe und der einzigartigen Merkmale dieses beispiellosen Gewächses. Aber ihnen standen noch seltsamere Offenbarungen bevor.
Nachdem es einen Augenblick lang reglos über dem gigantischen Knotenpunkt geschwebt hatte, setzte das Raumschiff seinen Flug in größerer Höhe und mit erhöhter Geschwindigkeit entlang des Hauptstängels fort, der sich unabsehbar weit gen Westen erstreckte. In diversen Abständen offenbarte er neue Verästelungen, und er wurde immer größer und strotzender, je weiter er in Sumpfgebiete vorstieß, bei denen es sich zweifellos um den abgelagerten Schlick eines einstigen Meeres handelte.
»Himmel! Es umgibt wohl den ganzen Planeten!«, mutmaßte einer der Reporter mit ehrfurchtsvoller Stimme.
»Es sieht so aus«, pflichtete Gaillard ernst bei. »Offenbar bewegen wir uns fast genau entlang der Äquatorlinie, und wir sind der Pflanze schon über Hunderte von Kilometern gefolgt. Nach dem zu urteilen, was wir bisher zu Gesicht bekommen haben, handelt es sich bei den angeblichen Kanälen des Mars lediglich um Verästelungen dieses Gewächses, und wahrscheinlich sind die Gebiete, die von den Astronomen als ›Meere‹ auf den Marskarten verzeichnet wurden, lediglich seine Laubmassen.«
»Ich begreife das nicht«, grollte Stilton. »Das läuft allen wissenschaftlichen Erkenntnissen völlig zuwider, und es verstößt gegen sämtliche Naturgesetze! So etwas sollte es in keinem denkbaren, vernunftbestimmten Universum geben.«
»Nun«, versetzte Gaillard ein wenig ungehalten, »es existiert jedenfalls – und ich wüsste nicht, wie Sie sich dieser Tatsache entziehen könnten. Zudem stellt es offenbar das einzige pflanzliche Gebilde auf dem Planeten dar. Wenigstens haben wir bislang nichts von vergleichbarer Art vorgefunden. Und überhaupt: Was spricht denn dagegen, dass das pflanzliche Leben auf dem Mars
Weitere Kostenlose Bücher