Das Labyrinth erwacht: Thriller (German Edition)
Schmerzen. Wenn er einfach losließe, dann wäre alles vorbei. Dann hätten alle Qualen ein Ende. Es gab ohnehin keine Hoffnung für sie. Für ihn.
Sechs Tore, doch sie waren sieben. Und in der nächsten Welt würde es das Gleiche sein. Immer würde es ein Tor zu wenig geben, durch das sie sich retten könnten.
Kämpfen. Leiden. Und sterben.
Sein Schluchzen prallte von den Felswänden zurück.
Und eine seltsam verzerrte Stimme flüsterte ihm ins Ohr: »Lass los!«
30.
Was ist los? Warum klettert er nicht weiter?«, fragte Jenna. Sie kaute an den Nägeln, schon seit sie Mischa das erste Mal an der Felswand hatte erkennen können. Nicht einen Moment hatte sie ihn aus den Augen verloren. Fast hoffte sie, sie könnte ihn mit ihren Blicken nach oben ziehen, es ihm irgendwie leichter machen. Eine dunkle Vorahnung hatte sie erfasst. »Irgendetwas stimmt nicht… da seht doch, er rutscht ab.«
Alle hielten die Luft an und ließen sie seufzend wieder entweichen, als sie sahen, dass Mischa wieder Halt gefunden hatte. Für einen Augenblick hatte es so ausgesehen, als würde er gleich in die Tiefe stürzen.
»Was ist los?«, fragte Jeb, der unbemerkt zu ihnen getreten war. Hinter ihm stand Tian, der starr auf seine Füße blickte.
»Mischa wäre fast abgestürzt. Ich glaube, er ist verletzt.«
Jeb schaute zu Mischa hinüber, der seinen Aufstieg fortsetzte und wie eine Ameise den Fels emporkroch. Jenna hatte recht, mit Mischa war etwas nicht in Ordnung. Seine fahrigen Bewegungen zeigten, dass er offensichtlich große Mühe hatte, sich festzuhalten.
»Ich glaube, er ist einfach müde«, meinte Mary.
»Es ist nicht nur das«, beharrte Jenna. Sie wollte noch etwas anmerken, als sie plötzlich wieder diese grausige, nur allzu bekannte Stimme hörte. Jenna zwang sich, nicht vor Schreck aufzuschreien. Ja, es klang wie ihre eigene Stimme und sie rief ihr etwas zu. Es schien so, als würde diese Stimme nach Hilfe schreien. Vorsichtig schaute Jenna am Boden liegend um sich, doch wie schon die Male zuvor, auf der Ebene mit Jeb, konnte sie nichts erkennen. Verdammt, warum konnte scheinbar nur sie die Stimme hören, während die anderen im gleichen Moment nur namenlose Schreie wahrnahmen. Fast so, als würde sie sich selbst Worte ins Ohr wispern. Sie spürte ein merkwürdiges Ziehen in der Magengrube.
Nein. Reiß dich zusammen. Alles wird gut – ich werde hier rauskommen. Zusammen mit Jeb.
Entschlossen drehte sie sich zu den anderen um, die mindestens ebenso erschrocken waren. Stumm starrte sie in Marys weit aufgerissene Augen, dann sammelte sie sich. »Sie sind uns dicht auf den Fersen«, stellte sie trocken fest.
Als niemand sich regte und alle wie in einer Schockstarre gefangen waren, erkannte Jenna, dass sie alle kurz davor waren, aus Angst durchzudrehen. Sie musste sich selbst und den anderen beweisen, dass sie nun alle ihren Mut brauchten. Irgendwie schien es ihr, dass sie selbst vor nicht allzu langer Zeit unvorstellbaren Mut bewiesen hatte.
Oder bildete sie sich das nur ein? Fing sie an zu fantasieren? Wie diese Stimme?
Entschlossen sagte sie zu den anderen: »Mischa braucht unsere Unterstützung. Er muss merken, dass er nicht allein ist. Los, feuert ihn an.«
Und obwohl sie nicht wussten, ob ihre Worte verständlich durch die Schlucht getragen werden würden, riefen sie einzeln, einer nach dem anderen, aufmunternde und bestätigende Worte zu Mischa hinüber.
Als würde er ihre Worte hören, stieg Mischa nun rascher auf. Die anderen verfolgten schweigend seinen Weg. Doch Jenna wusste, wie erschöpft Mischa war, und innerlich flehten sie alle darum, dass er bald die Felskante erreichte.
Mischa kletterte um sein Leben. Im wahrsten Sinn des Wortes. Die Schmerzen waren nun beinahe unerträglich und auch die Erschöpfung konnte er nicht mehr ausblenden. Er wusste, dass er in Bewegung bleiben musste. Immer nur eine Hand oder einen Fuß kurz belasten, dann sofort weiterklettern.
Weiter. Komm, noch ein Griff. Hochziehen.
Zieh dich hoch.
Jetzt den Fuß belasten. Abstoßen.
Die nächste Hand.
Wie eine Litanei murmelte er die Worte. Kaum hörbar kamen sie aus seinem Mund.
Von der anderen Seite der Schlucht kamen nun unverständliche Rufe herbeigeweht, er verstand kein einziges Wort, aber wusste, dass sie ihn irgendwie unterstützen wollten. Er war nicht allein.
Dort die Spalte. Der Riss sieht gut aus. Schieb deine Finger rein.
Nicht zögern. Du findest Halt.
Und so stieg er weiter
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