Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)
zu tun hatte, außer sich zu langweilen und mit den Zähnen zu knirschen. Mitte Juli schifften wir uns wieder nach Dubrovnik ein.
Aber wir kamen dort nicht an.
FÜNFUNDZWANZIG
Ein ehrenhafter Handel
H u hu«, sagte Goran, als er bis hierhin gelesen hatte. »Kommt jetzt die Geschichte vom Schiffbruch?«
Ich hatte mir Zeit gelassen mit den bisher letzten Blättern. Es war der siebte November, ein kühler, ruhiger Tag, und die Meerenge war nahezu unsichtbar unter und hinter einem satten, dicken Nebel. Ich ging zum Herd, warf ein paar Scheite ins Feuer und schöpfte mit der Kelle Brühe aus dem großen Topf. Kein Wetter für Wein, vor allem nicht zu dieser Tageszeit. Wir hatten Brot und gekochtes Rindfleisch gefrühstückt und dazu die Brühe getrunken; ich fand, Brühe in Bechern sei das geeignete Getränk, sich wider die weiße Brühe vor dem Fenster zu wappnen.
»Die Geschichte vom Schiffbruch?« Ich ging mit den beiden gefüllten Bechern zurück zum Tisch. »Wozu soll ich sie lang und breit erzählen? Schiffbruchgeschichten kennt doch jeder.«
»Sie machen sich aber immer gut.« Goran kicherte und schob die Blätter zur Seite. »Immer, wenn ein Märchenerzähler nicht weiß, wie er den Helden ins nächste Abenteuer stolpern lassen soll, bietet sich ein Schiffbruch an.«
»Oder eine unselige Liebesgeschichte.«
»Ah, da wüßte ich noch mehr.« Goran blies auf die heiße Flüssigkeit in seinem Becher und blickte hinaus auf die kalte Flüssigkeit der Meerenge.
»Zum Beispiel?«
»Ein nächtelanges Würfeln, bei dem der fahrende Spielmann alles Geld verliert, so daß er ganz neu beginnen muß, ehe er mit dem weitermachen kann, was er eigentlich tun wollte. Ein Zweikampf – aber der kommt ja sowieso, in ein paar Tagen, nicht wahr? Ein ruhiger Tag, an dem plötzlich die Saiten der Fiedel reißen und ein tollwütiger Hund durchs Haus tobt und alle beißt. Ein geheimnisvoller Brief, der Nachrichten enthält, die uns auf wunderliche Abwege führen. Oder einfach langes Denken des Helden – sagen wir, Gedankenstraßen, die sich zu Wegen verzweigen, aus denen Pfade werden, die sämtlich nirgendwo hinführen.«
»Langes Denken?« sagte ich. »Helden sollten nicht zuviel denken; das hindert sie am Handeln.«
»Ah, nein, dann lieber ein Schiffbruch. Wo wart ihr, als der Sturm eingesetzt hat?«
»Ungefähr auf der Höhe von Lopud; bei klarem Himmel hätten wir wohl die Türme von Dubrovnik schon sehen können.«
»Und dann?«
»Wir wurden nach Süden getrieben. Zwei Galeeren mit Soldaten und Nachschub für die venezianischen Festungen an der Bucht von Kotor, und ein Frachtsegler. Sie hatten uns – Bekim und mich und ein paar andere, Kaufleute, die nach Dubrovnik wollten – mit Beibooten zum Hafen bringen sollen, aber ...« Ich hob die Schultern.
Goran nickte. »Die Tücken des Wassers, ja, ja. Und der Winde. Ihr habt aber Glück gehabt. Da liegt einiges an Felsen knapp unter der Wasserfläche; ein Wunder, daß ihr nicht viel früher aufgelaufen und zerbrochen seid.«
»Mag sein; ich nenne es lieber Zufall. Ich glaube nicht an Wunder.«
»Ganz gleich, wie du es nennst – du solltest es beschreiben. Es macht sich bestimmt gut.«
»Ich fürchte, mir läuft die Zeit davon.«
Er blinzelte mich über den Becher an. »Wieso? Die Zeit steht still oder fließt, manchmal rennt sie, aber was hat das mit dem Schiffbruch zu tun?«
»Ich möchte bis zum Ende kommen, bis zu deinem Haus und der gründlich bezahlten Zuflucht.«
Goran schmatzte leise. »Gründlich bezahlte Zuflucht ... Aber warum soll ich denn kein Geld verlangen, wenn ich weiß, du hast genug davon? Und mitnehmen kannst du es nicht, dorthin, wo du bald sein wirst, wie du selber meinst.«
»Das stimmt schon. Jedenfalls will ich die Geschichte beenden, soweit ich kann. Und wenn ich jetzt langwierige Schiffbrüche beschreibe, könnte es sein, daß KarimAbbas und seine Leute auftauchen, ehe ich auf dem Papier überhaupt an Land gelangt bin.«
Goran wackelte mit dem Kopf. »Na gut«, sagte er. »Dann schreib eben hastig weiter. Wenn noch Zeit bleibt, kannst du den Schiffbruch ja später noch einfügen. Hineinrammen in die Geschichte, gewissermaßen.«
»Ich will es erwägen.«
Knirschende Hölzer, brechende Ruder, das Geschrei der Männer kaum zu hören, vom Sturm zerfetzte, vom schäumenden, krachenden Wasser überspülte Wörter. Ich klammerte mich an die Balken, die einmal Teil der Befestigung eines Beiboots gewesen waren, das einer der letzten Brecher
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