Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)
Pferden, Karren, Kamelen, Soldaten, gestapelten Vorräten, Pyramiden von Kanonenkugeln, Waffenschmieden und Werkstätten, in denen zertrümmerte Lafetten wieder hergerichtet wurden. Es stank nach Schießpulver; der Wind hatte sich abermals gedreht und wehte die Schwaden von den Batterien übers Lager. Immer noch wurde geschossen, und es kam mir wie ein Wunder vor, daß da drüben, in Herceg Novi, überhaupt noch Steine heil geblieben waren. Nicht zu reden von Menschen.
Der Hauptmann führte mich durch das geordnete Chaos des Lagers, aber ich hatte keine Augen für die bunten Gewänder, die vielen unterschiedlich geschnittenen Uniformen und Gesichter, die leichten und schweren Waffen; keine Ohren für die vielen verschiedenen Sprachen und auch nicht für die Schreie und das Stöhnen der Verwundeten. Es gab viele Verletzte, das bemerkte ich wohl, und auf einem Platz am Hang oberhalb der Straße sah ich Leichen. Viele Leichen. Die Spanier, hoffnungslos unterlegen, mußten heftigen Widerstand geleistet haben, der immer noch andauerte. Einen Moment versuchte ich mir vorzustellen, wie die Hölle von Herceg Novi ausgesehen haben mußte, türkische Truppen, die Sturmangriffe unternahmen, während ihre eigenen Geschütze feuerten und vermutlich auch sie trafen, und Spanier, die ihre wenigen Geschütze und vor allem ihre Arkebusen einsetzten und Ausfälle machten, um die Gegner zurückzuschlagen. All das im Feuer dreier Landbatterien und der schweren Schiffsgeschütze.
Aber dann befaßte ich mich wieder mit den Gedanken und Hoffnungen. Gedanken an Laura. Hoffnungen auf irgendeinen zugänglichen höheren Offizier. Der Hauptmann übergab mich einem anderen, der wiederum andere »beeinflussen« mußte und selbst beeinflußt werden wollte; und der übergab mich dem nächsten, dem nächsten, dem nächsten. Und plötzlich – wenn etwas, das sich nach Stunden des Redens und Zahlens und Fragens ereignet, »plötzlich« stattfinden kann – stand ich zwischen besseren Zelten, die durch einen hohen, mit Flechtwerk und Palisaden verstärkten Erdwall gegen Beschuß geschützt waren. Der Mann, bei dem meine Bemühungen endeten, wurde Selim Effendi genannt, trug eine prachtvolle Uniform mit zahlreichen Abzeichen und hatte zwar keinen Rang – jedenfalls wurde mir keiner genannt –, war aber offenbar einer der wichtigsten Adjutanten des Persers Ulamen, von dem es hieß, er sei zum Hafen gegangen, um dort mit einem Adjutanten des Admirals Khaireddin zu sprechen.
Selim Effendi sprach Kroatisch und Italienisch; meine Bitte um Nachsicht, daß ich des Türkischen nicht mächtig sei, beantwortete er mit einer wischenden Handbewegung.
»Es gibt eine Schwierigkeit mit einer hochrangigen Venezianerin, hörte ich«, sagte er. »Setzt Euch.« Er wies auf ein dickes Kissen; ein Diener oder Offiziersbursche reichte mir einen Becher mit einem dampfenden Kräuteraufguß. »Wer seid Ihr, und um was geht es?«
Ich nannte meinen Namen. »In Wien habe ich gegen Eure Brüder gekämpft, Herr«, sagte ich. »Und später auch gegen Spanier und Franzosen. Nun bin ich geduldeter Gast Venedigs, wo meine Gemahlin eine Druckerei und eine Papiermühle betreibt und für die wichtigen Familien Dokumente herstellt.«
Er nippte an seinem Becher. »Weiter.«
»Aus Gründen, die ich nicht kenne, hat der Edle Karim Abbas beschlossen, mich zu hassen und zu töten. Wir haben in Pristina gefochten und einander verwundet. Es ist ihm gelungen, meine Frau zu entführen und gefangenzusetzen. Damit hat er mich gezwungen, für ihn nach Herceg Novi zu reiten und die Übergabe der Festung zu verlangen.«
Selim Effendi setzte den Becher auf den niedrigen Tisch und starrte mich an. »Was hat er?«
Ich wiederholte die letzten Sätze.
»Dazu ... es steht ihm nicht zu, solche Forderungen zu erheben. Das kann nicht einmal mein Herr Ulamen, nur der Admiral. Wir werden Karim herbeiholen und hören, was er dazu zu sagen hat.«
»Um Vergebung, aber es gibt noch mehr.«
»Sprecht.«
»Er hatte mir einen Bewacher oder Begleiter mitgegeben und diesem ein Schreiben an den Hauptmann, der zu jenem Zeitpunkt die vorderste Schanze an der Trebinje-Straße oberhalb der Burg leitete. Als ich von dem Gespräch mit den Spaniern zurückkam, die die Übergabe verweigert hatten, hat mir dieser Hauptmann, wie offenbar in Karims Schreiben befohlen, ein Messer ins Bein gestoßen und mich zu den Spaniern zurückgeschickt. Dort sollte ich bis zum Ende bleiben.«
Selim Effendi runzelte die Stirn und
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