Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)
fortgerissen hatte. Ein Frachter trieb mit unseren beiden Galeeren auf die Landzunge zu, die von Norden in die Einfahrt zur Bucht von Kotor und Herceg Novi ragt. Seit Stunden – vielleicht auch nur seit einer halben Stunde, die sich aber anfühlte wie ein ganzer Tag – hatten wir versucht, um die Landzunge, das kleine Vorgebirge herum in die Bucht zu gelangen. Auch dort war das Wasser aufgewühlt, aber wahrscheinlich weit weniger als vor der Küste. Wind und Strömungen und wuchernde Brecher trieben uns immer näher ans Land. Einer der Steuerleute behauptete, sich auszukennen, zu wissen, daß man zwischen den im tosenden Wasser unsichtbaren Felszähnen den Strand erreichen konnte. Er hatte dies jedenfalls behauptet, vor einiger Zeit, als ich nah genug bei ihm gewesen war, um wenigstens Fetzen von dem zu hören, was er dem Kapitän zurief.
Ein Sommersturm, von dem, wie wir später hörten, weiter landeinwärts nicht viel zu spüren war. Er unterbrach die Kämpfe um Herceg Novi nicht, aber wir, kaum drei Meilen entfernt, sahen die Pulverschwaden nicht, hörten nicht einmal den Donner der schweren Geschütze. Was wir jedoch hörten, mit ungeheurer Erleichterung, war das Knirschen, mit dem der Rumpf unserer Galeere auf ein flaches Stück sandigen Strands rutschte. Auch die zweite Galeere schaffte es; ihr Steuermann wußte, daß der unsere sich auskannte, und war ihm einfach gefolgt. Der Segler wurde gegen Klippen getrieben, Felsen, deren Spitzen man bei ruhigem Wasser hätte sehen können. Er wurde aufgerissen, zerbrach, die Teile wurden von Brechern weiter zertrümmert, aber – Wunder? Zufall? Glück? – die meisten Männer erreichten schwimmend, zuletzt watend den Strand. Vier Ertrunkene von über vierhundert; als der Kaplan, der auf der zweiten Galeere gewesen war, später dem Herrn für Schutz und Gnade dankte, war ich fast bereit, mitzubeten und mitzudanken.
Wir befanden uns auf einem Landstück, von dem nicht ganz klar war, ob es zur Republik Ragusa gehörte oder unmittelbar zu osmanischem Gebiet. Es hatte eigentlich auch keine große Bedeutung, da Ragusa dem Sultan unterstand und Venedig sich nicht mehr mit ihm im Krieg befand. Natürlich hielten sich hier überall türkische Soldaten auf; Nachschub, Packtiere, ein Krankenlager und ein paar Männer, die von einer kleinen Burg auf dem Vorgebirge die Wirkung des türkischen Feuers auf Herceg Novi beobachteten.
Es war Bekim und mir gelungen, alle Habseligkeiten von der gestrandeten Galeere an Land zu bringen. Ich ließ Bekim mit unseren Beuteln zurück und ging mit dem Kapitän unserer Galeere zum nächsten höheren Offizier der türkischen Belagerer. Der Kapitän wollte vor allem herausfinden, unter welchen Bedingungen er und die übrigen Venezianer auf die andere Seite der Bucht gelangen konnten, sobald das Wetter es zuließ. Ich hatte ein anderes Anliegen.
»Sagt, Herr: Wer befiehlt an Land?«
Der Türke – ein Hauptmann der Artillerie – betrachtete mich forschend. »Warum wollt Ihr das wissen?«
»Ich suche nach einem alten Bekannten, der vielleicht einen Teil der Truppen leitet.«
»Wie heißt er?«
»Karim Abbas.«
Der Hauptmann verzog kaum merklich das Gesicht. »Er ist weiter vorn, bei der ersten Batterie. Seid Ihr sein Freund?«
Ich beschloß, ein kleines Wagnis einzugehen und anzunehmen, daß ich die Miene des Artilleristen richtig gedeutet hatte. »Es wäre übertrieben, von Freundschaft zu reden«, sagte ich leise, so daß außer ihm keiner es hören konnte. »Wir sind ... enge Feinde, wenn es so etwas gibt.«
Der Offizier ließ die Mundwinkel zucken; es war kein Lächeln, aber auch keine Grimasse. »Er ist nicht besonders beliebt«, sagte er, ebenfalls leise. »Anmaßend, unbeherrscht, finster. Der Admiral Khaireddin hat den Oberbefehl, und an Land ist der General Ulamen zuständig, ein Perser. Karim Abbas ist ihm unterstellt. Was habt Ihr vor?«
»Kann ich Euch vertrauen?«
Nun lächelte der Offizier tatsächlich. »Vertrauen? Im Krieg? Eine seltsame Frage. Wenn ich wüßte, worum es geht, könnte ich leichter ja oder nein sagen.«
»Karim Abbas hat meine Frau entführt, um mich zu etwas zu zwingen. Ich möchte die Lage ... ändern.«
»Eure Frau? Die eines Venezianers?«
»Sie ist Venezianerin; ich bin in Venedig nur geduldeter Gast.«
Der Hauptmann verdrehte die Augen. »Frauen!« sagte er; es klang wie ein halb lustvoller, halb entsagender Seufzer. »Ihr Westler und Frauen ... Venezianerin, sagt Ihr? Hm. Ist sie wichtig? Nicht
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