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Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)

Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)

Titel: Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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auf.«

SECHS
Die Wächter von Dubrovnik
    E s blieb mir nichts anderes übrig, als den Bewaffneten zu folgen. Unterwegs versuchte ich, mit ihnen zu sprechen, aber sie waren etwa so redselig wie tote Fische.
    Ich nahm an, daß sie mich zu irgendeinem Nebenraum im Palast des Rektors bringen würden, wo vermutlich der hiesige Ordnungshüter saß, vielleicht auch ein Richter. Aber welcher Richter sollte lange nach Sonnenuntergang nichts besseres zu tun haben?
    Tatsächlich gingen wir zum Palast; aber dort führten sie mich durch eine bewachte Pforte in ein Nebengebäude und eine Treppe hinab. Wir mußten uns irgendwo zwischen dem Palast und der Hafenfestung befinden, und zwar unterhalb der Wasserlinie. Allmählich begann ich mir Sorgen zu machen.
    Am Ende eines Gangs traten wir in eine Art Wachstube, wo ein paar halbuniformierte Männer auf Holzbänken dösten. Dahinter befand sich eine Schreibstube, von zwei Fackeln und mehreren kleinen Öllampen erhellt. Ein Mann saß dort und schrieb auf große Bögen einzelne Zeichen und Ziffern – Listen vielleicht. Frachtlisten würden es wohl nicht sein, sagte ich mir.
    »Herr«, sagte der oberste Nachtwächter. »Ein Toter in der Gasse, gegenüber von Franjos Schänke. Dieser hier hat in der Schänke Musik gemacht und ist zwischendurch auf die Gasse gegangen; vielleicht hat er etwas damit zu tun.«
    »Wo ist der Tote?« Der Mann blickte nicht von seiner Schreibarbeit auf; seine Stimme war dunkel und kräftig. »Und warum sprechen wir Italienisch?«
    »Damit der Fremde uns versteht.«
    »Aha. Der Tote?«
    »Wird gebracht, müßte bald eintreffen.«
    Der Mann nickte und sagte etwas auf Kroatisch; er blickte nach wie vor nicht auf. Zwei der Nachtwächter nahmen mir die Beutel und den Fiedelkasten ab und betasteten mich, fanden aber nichts außer dem Schwert und dem Messer, die ich am Beutel befestigt hatte.
    Sie sagten etwas – wahrscheinlich »sauber« oder »sonst nichts«; der Mann nickte wieder und entließ sie mit einer Handbewegung. »Setz dich«, sagte er dann; mit dem Kinn deutete er auf einen Schemel an der Wand.
    »Was soll ...«
    »Sei still. Du redest erst, wenn ich dich frage.«
    Ich setzte mich auf den Schemel und befaßte mich mit einer oder zwei der vielen Möglichkeiten sinnlosen Wartens. Der Mann schrieb weiter, trug hier etwas ein, strich dort etwas, machte Haken oder andere Kürzel. Nach einiger Zeit war aus der Wachstube etwas zu hören. Einer der Nachtwächter trat ein und machte Meldung. Offenbar war der Tote hergebracht worden; der Mann hinter dem Schreibtisch grunzte, legte den Federkiel beiseite, stand auf und ging hinaus. Der Nachtwächter blieb neben der Tür stehen und beobachtete mich, indem er an mir vorbeischaute.
    Es dauerte länger, mindestens zweihundert Atemzüge, bis der andere wieder hereinkam, den Posten entließ und sich hinter den Tisch setzte. Diesmal griff er nicht zur Feder, sondern betrachtete mich, ohne etwas zu sagen.
    Ich erwiderte seine Blicke. Er mochte um die vierzig sein, hatte dunkles Haar, das sich zu entfärben begann, ein Gesicht ohne jeden Ausdruck, stechende Augen, einen schmalen Mund und sehr große Ohrläppchen.
    »Ich bin Katona«, sagte er plötzlich. »Zuständig für die Ordnung der Dinge.«
    »Ein ungarischer Name?«
    »Wer bist du?«
    »Ich bin Jakob Spengler, wandernder Spielmann, geboren in einer kleinen Stadt am Rhein, in Deutschland, und ich habe heute abend in Franjos Schänke für die Gäste gespielt.«
    »Kennst du den Toten?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich wußte nicht einmal, daß er tot ist. Ich habe ihn nur sitzen sehen, an die Hauswand gelehnt.«
    Katona stand auf. »Komm mit.«
    Ich folgte ihm durch die Wachstube in einen Nebenraum. Dort brannte nur eine Fackel. Auf einem rohen Tisch lag der Tote. Sie hatten ihn ausgezogen; die Kleider und was er sonst bei sich getragen hatte, bildeten einen formlosen Haufen auf dem Fußboden.
    »Schau ihn dir an. Kennst du ihn?«
    Ich seufzte. »Ich bin hier fremd«, sagte ich. »Wie soll ich ihn kennen?«
    »Schau ihn dir trotzdem an. Gründlich. Und sag mir, was du siehst.«
    Ich zögerte einen Moment. Ich war nicht sicher, ob ich überzeugend den Entsetzten spielen konnte. Deshalb verzichtete ich darauf und beugte mich über den Leichnam. Während ich ihn betrachtete, schilderte ich halblaut, was ich sah.
    Der Mann lag auf dem Rücken. Die Füße waren schmutzig und besaßen eine dicke Schicht Hornhaut. An den muskulösen, stark behaarten Beinen gab es nur eine

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