Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)
bewacht. Zwar hielten wir uns abends zuweilen in dem Haus auf, in dem wir wohnten, aber an den meisten Abenden waren wir entweder bei Valerio oder in einer der Tavernen von Gruz, und wenn wir gerade keine Musik machten, sondern lediglich tranken und redeten und lauschten, konnten wir dort in Nachrichten oder zumindest Gerüchten beinahe baden.
Von den anderen Musikern hörte ich viele Geschichten über ihre jeweilige Heimat. Die meisten hatten immer noch Verwandte und Freunde dort, von denen sie hin und wieder etwas erfuhren; manchmal kamen sogar Briefe. Nach und nach besserten sich meine Sprachkenntnisse; nach einigen Wochen war ich durchaus imstande, einem gewöhnlichen Gespräch zu folgen und – immer wieder von den anderen geduldig verbessert – daran einigermaßen teilzunehmen.
Die verheißene Aufforderung Katonas, bei irgendeinem größeren Fest in der Stadt zu spielen, erging allerdings nicht an uns. Manchmal lungerte ich vormittags in Dubrovnik herum, versuchte mich in dem rechtwinkligen Labyrinth zurechtzufinden und hörte den Leuten zu. Beim Zuhören und Beobachten sah ich viele Dinge und Vorgänge, die ich nicht recht einzuordnen wußte, und bald begann ich mir Fragen zu stellen.
Zum Beispiel diese: Was trieb den Sackpfeifer Konstantinos in ein Haus, das an einer der steilen Straßen nordöstlich des Franziskanerklosters lag? Was hatte der Lautenspieler Boboko vor dem Ploče-Tor nördlich des Hafens so lange mit einem Mann zu besprechen, der danach im Hafen an Bord eines Wachschiffs ging, und wieso verließ bald darauf ein Mann dieses Boot, den ich später in ernster Unterhaltung mit dem Ungarn Katona sah?
Natürlich konnte ich die beiden nicht befragen. Aber als ich Möglichkeiten erwog, auf Umwegen Antworten zu suchen, stellten sich weitere Fragen. Nach Frauen, zum Beispiel. Ardiana und Zlatko schien eine Art Liebschaft zu verbinden; da es im Haus keine Türen gab, waren nicht nur die hier und da von Musikinstrumenten hervorgebrachten Klänge gewissermaßen Allgemeingut. Die anderen verbrachten manchmal eine Nacht außerhalb des Hauses; selten, vielleicht einmal in zehn Tagen, brachte jemand eine Frau oder ein Mädchen mit. Die meisten dieser Gäste blieben gesichts- und namenlos und kamen nur ein einziges Mal. Bei wandernden Musikanten wäre dies nicht verwunderlich gewesen; die Truppe schien aber seit langem hier zu hausen, so daß engere Verbindungen möglich und gewöhnlich gewesen wären. Aber keiner, abgesehen von Ardiana und Zlatko, schien auf derlei Wert zu legen. Andererseits war keiner der anderen Eunuch oder der Knabenliebe ergeben.
Es wurde auch kaum darüber geredet. Natürlich gab es, wenn wir zusammensaßen, die eine oder andere Geschichte, aber es handelte sich immer um Dinge aus der Vergangenheit.
»Ich weiß nicht«, sagte ich eines Abends, »ob ihr etwas dagegen hättet, wenn eine Frau bei mir die Nacht verbrächte.«
Ardiana musterte mich beinahe erstaunt. »Wer sollte etwas dagegen haben? Vögel und Bienen tun es, sogar die Päpste, wie man hört; warum dann nicht auch Musikanten?«
»Ich frage nur, weil Nachtbesuch so selten ist bei euch.«
Tomislav machte ein trauriges Gesicht. »Selten, fürwahr«, sagte er. »Aber man weiß ja nie, ob man nicht morgen aufbrechen muß.«
»Das ist kein Grund.«
»Was meinst du, Jakko? Was wäre denn ein Grund?«
Ich hob die Schultern. »Keine Ahnung. Die Treue gründlich verheirateter Männer zu abwesenden Gattinnen?«
»Ist das bei dir so?«
»Tja.«
Tomislav lachte und wandte sich an Boboko. »Was sollen wir aus diesem ›Tja‹ schließen?«
Boboko legte die Laute beiseite und faltete die Hände. »Herr im Himmel«, sagte er mit salbungsvoller, um nicht zu sagen schleimiger Stimme, »wende den nelkenförmigen Kelch der Versuchung von mir.« Er entfaltete die Hände wieder, lachte und setzte hinzu: »Oder hast du ein Keuschheitsgelübde abgelegt?«
»Ich habe geschworen, meinen Geist rein zu halten; solange mir das gelingt, hat es keine Bedeutung, was mit meinem Leib geschieht.«
Konstantinos ließ seine Sackpfeife quäken. »Mehr ist nicht dazu zu sagen.«
»Wie ist das denn bei euch? Mit Gelübden und ähnlichem Unsinn?«
»Ein wenig Unsinn muß hin und wieder sein.«
Ardiana kicherte. »Ich kann bezeugen, daß die Jungs alle im Schlaf reden. Du auch, Jakko? Wann wollen wir beide das untersuchen?«
Ich streifte Zlatko mit einem Seitenblick; er schien weder gekränkt noch sonstwie berührt zu sein von Ardianas
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