Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)
ich meinen Lachanfall endlich durchgesessen hatte.
»Doch, Süßer, so ist es«, sagte Ardiana. »Schön, daß du es endlich weißt. Seit du ins Haus gekommen bist, haben wir auf diesen Augenblick gewartet. Und gewettet, wann er kommt.«
Ich stöhnte. »Und? Wer hat gewonnen?«
»Keiner.« Boboko grinste. »Du hast länger durchgehalten, als selbst der größte Menschenfreund unter uns angenommen hatte.«
Rückblickend kam ich mir reichlich dumm vor. Andererseits – wer käme denn auf den Gedanken, daß mehrere Spione, die von verschiedenen Mächten bezahlt werden, allesamt nicht nur Musiker sind, sondern dies auch noch als Tarnung nutzen? Daß sie irgendwann beginnen, gemeinsam zu spielen, mag bei Musikanten vorkommen; und daß sie schließlich alle im selben heruntergekommenen Haus wohnen ... Ich war verblüfft, dann ärgerte ich mich über mich selbst, dann über Bellini, der das offenbar gewußt (oder geahnt) hatte; dann fand ich es eine Weile albern bis zur Grenze des Schwachsinns. Und als wir viel später, bis zum Morgengrauen, um den Tisch in der Küche des Hauses saßen und redeten, kam es mir nur noch unerträglich vor.
»Das muß aufhören«, sagte ich.
»Es fängt doch gerade erst an. Wenn du den Tag meinst.« Tomislav wies mit dem Daumen hinter sich, zum Fenster. Das Morgengrauen war schon ziemlich hell.
»Den meine ich nicht. Ich meine – das hier. Das Konklave der Spione.«
»Sei vernünftig.« Zlatko rieb sich die Augen und versuchte, gleichzeitig zu gähnen und zu lächeln. »Es macht doch alles viel einfacher, als es sonst wäre. Wir brauchen uns nicht voreinander zu verstecken. Die Herren von Ragusa wissen, wo wir zu finden sind; also müssen sie uns nicht suchen. Wir können uns austauschen, was es für alle leichter macht. Habe ich etwas vergessen?«
Ardiana hob die Hand. »Eines, ja. Indem wir uns austauschen, sorgen wir dafür, daß keine der Mächte mehr weiß als die anderen. Und wenn keiner einen Vorteil hat, schlägt vielleicht keiner einfach los.«
»Wahre den Frieden, indem du für den Krieg spionierst?« sagte ich. »Das ist ... vollkommen blödsinnig. So wichtig ist Ragusa nicht, daß wir hier wirklich etwas bewirken könnten, indem wir uns austauschen. Und – was denn austauschen? Ich habe bisher nichts erfahren, was man nicht auch anderswo wüßte.«
»Anderswo heißt in Venedig, wie?« Tomislav stand auf und räkelte sich. »Das reicht mir jetzt; ich mag nicht mehr, ich will schlafen. Bis später, Spitzelbrüder. Und Schwester.«
»Warte noch. Du meinst also, ich arbeite für die Venezianer? Und du, für wen arbeitest du?«
Der Trommler gähnte. »Das wäre doch langweilig. Das mußt du schon selber herausfinden.«
Ich blickte die anderen an. »Also, ihr wißt voneinander, für wen ihr arbeitet, oder?«
Zlatko sagte: »Natürlich.«
Boboko sagte: »Vielleicht.«
Konstantinos lachte. »Vielleicht auch nicht. Ich arbeite auch für Venedig, weißt du. Und für Kreta. Und Ardiana für China und Kreta. Zlatko für Schweden, Kreta und Venedig. Boboko für Kreta, Portugal und – ah, wie heißen die Leute, mit denen sich Cortes herumgeschlagen hat? Ah ja, Boboko arbeitet für die Azteken.«
»Und für Kreta arbeitet ihr alle, weil es Kreta gar nicht gibt, als Macht, oder? Kreta gehört Venedig.«
Konstantinos zuckte mit den Schultern. »Für Kreta arbeiten wir alle, weil alle Kreter lügen. Und wir sind Kreter.«
Ich ging noch einmal kurz hinter das Haus, um mich zu erleichtern und frische Luft zu atmen. Der Morgen verhieß einen klaren, warmen Spätsommertag. Vielleicht würde es auch ein Frühherbsttag. Vielleicht arbeiteten alle für Venedig. Oder für die Türken. Oder für den Papst, den Kaiser, den französischen König, Genua, einen deutschen Kurfürsten. Ich war so müde, daß mir schwindlig wurde. Vielleicht schwindelte mir aber nicht vor Müdigkeit, sondern vor Schwindelei.
Jemand räusperte sich. Als ich die Augen öffnete, sah ich Boboko vor mir stehen.
»Und du, Zigeuner«, sagte ich. »Bist du auch Kreter?«
Er verdrehte die Augen. »Gibt es auf Kreta Zigeuner? Wahrscheinlich. Ich wollte dir aber noch einen Rat geben.«
»Einen kretischen Rat?«
»Einen Zigeunerrat.« Er reckte den Kopf vor und flüsterte: »Ardiana.«
»Was ist mir ihr?«
»Ein Zigeunerrat unter Männern, Jakko: Laß die Finger von ihr.«
»Bisher hatte nur sie ihre Finger an mir. An meinen Ohren.«
Er nickte. »Dabei solltest du es belassen.«
»Warum? Zieht Zlatko sonst das
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