Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)
aufzubewahren sind.«
Er drehte sich halb um und schnitt eine Grimasse. »Machen das alle Schreiber so?« Es klang höhnisch.
»Wenn sie gut beraten sind. Man sollte nichts hinterlassen, was andere später gegen einen verwenden können. Zum Glück bin ich ja kein Dichter; ich habe nur eine schlichte Geschichte zu erzählen. Und in den nächsten Tagen werde ich zwei oder drei Dinge aufschreiben, an die zu erinnern mir Freude machen wird. Und die ich später ebenfalls verbrennen werde, weil sie niemanden etwas angehen.«
»Eselmist.«
»Wenn du meinst.«
»Hat es mit den anderen Musikern zu tun?«
»Teilweise.«
»Hm. Teilweise. Und die anderen Teile? Ah, ich ahne etwas. Es wird vielleicht auf den zu verbrennenden Blättern eine Frau geben, und davon müssen deine Frau und die Kinder nichts wissen – ist es so?«
»Wenn es so wäre, müßtest du auch nichts davon wissen.«
»Ich will es ja nicht lesen. Du könntest es mir vielleicht andeuten. Um die Neugier eines alten Mannes zu befriedigen.«
»Keine Andeutungen, Goran.«
»Wirklich gar keine?« Nun klang er enttäuscht. Aber dann lachte er. »Nein, keine Frau; davon könntest du mir erzählen, unter ehrlosen Männern. Geht es um Geld? Um Verrat? Um einen feinen Mord?«
»Wenn ich alles verbrannt habe, wirst du die Asche lesen dürfen, mein Freund.«
Nach den Enthüllungen ... aber eigentlich waren es ja gar keine Enthüllungen, allenfalls eine Entblößung meiner Einfalt. Ich war verärgert, sagte mir aber, daß ich nur über mich selbst Ärger verspüren durfte. Das Nest der Spione, von Dubrovnik und den Türken und wem auch immer sonst gut zu beobachten. Lächerlich. Albern. Dumm von mir, daß ich nicht längst so etwas vermutet hatte. Und eigentlich hatte sich nichts geändert. In der Nacht – aber bis ich auf mein Lager sank, war es ja bereits Morgen. Ehe ich einschlief (und immer, wenn ich aus dem unruhigen Schlummer erwachte), erwog ich die Lage und war entschlossen, nach dem Aufstehen meine Sachen zu packen und zu gehen. Spätestens am folgenden Tag.
Aber wozu? Ein paar Musiker spielen miteinander und erzählen Lügengeschichten. Einige davon mochten sogar wahr sein, aber das war nicht festzustellen. Oder jedenfalls nur mit großem Aufwand. Hatte es denn wirklich eine Bedeutung, daß es nun andere Lügen waren als vorher? Waren es überhaupt Lügen, oder einfallsreiche, wenn nicht gar kluge Aus- und Umwege? Gestern hatten wir über unsere Herkunft und unsere Abenteuer gelogen, heute würden wir über Geheimnissen lügen, die wir angeblich herausgefunden oder übersehen hatten. Ein Grund, im Ärger fortzulaufen?
Also blieb ich. An der Stimmung änderte sich nichts; es gab nur eine neue Art von Anspielungen. Wir unterhielten uns, waren albern, machten Musik, stellten Fragen, gaben wahrhaftige oder erlogene Antworten. Alles wie vorher. Die anderen wußten – oder nahmen an –, daß ich für Venedig arbeitete; wenn man es denn Arbeit nennen konnte. Ich versuchte herauszufinden, von wem sie bezahlt wurden. Ardiana von den Franzosen? Aber vielleicht hatte Boboko das erfunden; vielleicht hatte er auch ihre ansteckende Krankheit erfunden.
»Sag, holde Blume dieses wilden Gartens, ein Vöglein hat mir etwas ins Ohr gesungen, und ich wüßte gern, ob es wahr ist.«
Ardiana lutschte an einem Stück ältlichen Brots; undeutlich sagte sie: »Waf’enn?«
»Daß dich ein schmucker französischer Offizier mit einem argen Übel angesteckt hat.«
Sie nahm das Brot aus dem Mund und lachte. »So, wie du das sagst, klingt das nicht wie ein Leiden, sondern wie eine Wonne.«
»Stimmt es denn?«
»Willst du mich endlich nachts zu dir bitten und vorher wissen, worauf du dich einläßt?«
Zlatko hockte auf der Tischkante und spielte auf dem Krummholz gefährliche Sprünge. Keine Tonleitern – und wenn, dann waren es Leitern, die sehr schräg an einer unsichtbaren Wand lehnten und an unerwarteten Stellen zusätzliche Sprossen hatten. Nun setzte er das Krummholz ab und grinste. »Vielleicht will er dein Instrument neu stimmen.«
»Dein Instrument ist zweifellos gut gestimmt«, sagte ich. »Und wer weiß schon, worauf er sich bei Frauen einläßt? Oder bei Männern?«
»Eben.« Ardiana stand auf, kam zu mir, küßte mich auf den Mund und sagte: »Rück mal vom Tisch weg, damit ich mich auf deinen Schoß setzen kann.«
»Es ist noch sehr früh am Tag; ich bin nicht wach genug für einen solchen gegenseitigen Genuß.«
»Ich würde dich schon
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