Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)
Als wir wieder ungestört waren, sagte ich: »Ziemlich sicher. Aber das wird sich morgen erweisen. Laß uns überlegen, was wir tun können, wenn alles so geht, wie wir hoffen.«
»Ich habe den ferman ...«
»Ich nehme an, solch ein ferman schließt zwar keine weiteren Begleiter ein, wohl aber Diener.«
»Vermutlich. Aber – willst du wirklich meinen Diener spielen?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Solange jemand uns beobachtet. Warum denn nicht? Vor allem, da es die einzige Möglichkeit ist, nach Pristina zu kommen.«
Antonio sog Luft durch die Schneidezähne. »Du hast mir viele Fragen gestellt. Erlaube, o mein hinkünftiger Diener, daß nun auch ich dich frage.«
»Fragt immerzu, Herr.«
»Dann laß mich doch bitte wissen, was du eigentlich in Pristina willst.«
Ich seufzte leise. »Das ist eine lange Geschichte. Bist du sicher, daß du sie hören willst?«
»Meinst du nicht, daß ich sie kennen sollte?«
Als wir zu unserem Quartier zurückgingen, war es bereits völlig dunkel. Das heißt, nicht völlig; an einem Strandstück außerhalb des eigentlichen Hafens brannte ein Feuer. Etwas – nennen wir es Neugier – brachte uns dazu, die Straße zu verlassen und durch den Sand zu stapfen.
Wir hatten uns dem Feuer auf etwa zehn Schritte genähert; plötzlich sagte eine rauhe Stimme: »Halt, wenn Leben lieb.«
Da die Aufforderung in schäbigem Kroatisch erfolgt war, antwortete ich in derselben Sprache: »Wir sind harmlose Wanderer, keine Räuber.«
»Waffen?«
»Wir haben Degen.«
»Zeigen. Weglegen.«
»Ist es das wert?« murmelte Antonio.
»Weiß man es?« Ich zog den Degen aus der Scheide, legte ihn in den Sand und bedeckte ihn mit meinem Hut, in der Hoffnung, wenn ich später die Waffe im Dunkeln nicht fände, dann vielleicht über die Kopfbedeckung zu stolpern. Antonio knirschte mit den Zähnen, legte aber seinen Degen ebenfalls ab.
»Kommen Feuer.«
Wir gingen näher. Der Mann mit der rauhen Stimme hatte seitlich oberhalb des Feuers gestanden, so daß es ihn beim Blick auf uns weniger blendete. Nun trat er ebenfalls in den Feuerschein. Er war etwas kleiner als wir, hatte ein runzliges Gesicht, Schlitzaugen und hielt einen gespannten Bogen in der Hand.
»Gut«, sagte er; »jetzt Hand von Messer, dann ich Bogen weg.«
Antonio schnalzte leise. Ich ließ den Griff meines Messers los und zeigte dem Fremden meine leeren Hände. Er senkte den Bogen, nahm aber den Pfeil noch nicht von der Sehne.
»So also habt ihr den Mongolen kennengelernt?« Goran legte das letzte Blatt zu den anderen. »Eine Abendbekanntschaft, von der ich nun am Morgen lesen darf.«
Abends war ich bis zu der Stelle mit den Pfeil und der Sehne gelangt, und da es an diesem trüben Morgen regnete, fanden wir nichts besseres zu tun.
»Wie heißt er noch gleich?«
»Belgutai.«
Goran schob die Unterlippe vor. »Wieder so ein seltsamer Name; aber darüber haben wir ja schon gesprochen.«
»Gar nicht seltsam für Mongolen«, sagte ich. »Ein Bruder oder Halbbruder von Tschingis Khan hieß so, und er war einer seiner besten Heerführer.«
»Hat er dir das erzählt? Belgutai?«
»Dies und vieles andere.«
»Und wie, bei allem, was hienieden wirr und heilig ist, kommt ein Mongole nach Castelnuovo?«
Ich unterdrückte ein Lachen. »Mein Freund, Castelnuovo heißt Herceg Novi; dort wohnen Menschen, die Kroatisch sprechen, sich aber nicht für Kroaten halten; die Stadt war von Spaniern erobert, und am Strand liefen ein Deutscher und ein Venezianer herum. Warum nicht auch ein Mongole?«
»Dessen Leute wohnen doch viel weiter weg als sogar die Spanier.«
»Ja und nein; wie man’s nimmt.«
Es war nicht einfach, dem alten kroatischen Fischer etwas zu erklären, was ich selbst nur unvollkommen verstand. Nach allem, was mir Belgutai erzählt hatte, war sein Großvater aus einem Gebiet gekommen, das eigentlich mongolisch war, in dem sich aber immer mehr Chinesen niederließen. Ein Gebiet, das ebenso gut auf der Rückseite des Mondes hätte liegen können und von dem ich nur das weiß, was ich im Miglione gelesen habe – ohne die geringste Ahnung davon, wieviel von den darin aufgezeichneten Wunderlichkeiten Marco Polo wirklich gesehen und wieviel er erfunden hat.
Wie auch immer: Belgutais Großvater verließ dieses Gebiet und ritt nach Westen, bis in die Nähe des großen Stroms namens Wolga. Dort fand er Leute, die lange zum Reich der Mongolen gehört hatten und behaupteten, Mongolen zu sein; tatsächlich handelte es sich bei
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