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Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)

Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)

Titel: Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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heimgebracht, in die Obhut all der Drachen, die den Schatz ihrer Tugend hüten zu müssen wähnen. Dann wollte ich im Hause von Meister Nikola noch etwas trinken und vielleicht der Musik lauschen. Ich bin auf der rechten Seite des Platzes durch den Nebel gegangen, als ich dich und Zlatko auf der anderen Seite zum Gästehaus gehen sah. Ihn werden Lauras Lenden locken, habe ich mir gesagt, und Zlatko geht wohl zur Ablenkung mit, und da will ich nicht stören. Ich stand ein wenig unschlüssig herum, unter den Bögen am Palast, und da hörte ich jemanden leise reden. Im Nebel und im Dunkeln hat mich dort niemand entdeckt, aber ich habe zweierlei gesehen: Mehmet, der auf leisen Sohlen hinter euch herging, und Karim Abbas, der sich umgedreht hat und im Nebel verschwunden ist – ich nehme an, er wollte zurück zum Fest.«
    Da er nicht weitersprach, sagte ich: »Du erstaunst mich.«
    »Inwiefern?«
    »Aufmerksames Schleichen durch Nacht und Nebel? Das gehörte nicht zu den Eigenschaften des alten Antonio, der verschwunden ist. Und der neue Antonio ist in dieser Nacht geboren worden?«
    »Gezeugt war er schon längst.« Er grinste. »Ich hoffe, der Hügel, der in dieser Nacht kreißte, hat mehr als eine Maus geboren.«
    »Mäuse haben keine Degen. Jedenfalls die nicht, die ich kenne. Und weiter?«
    »Ich konnte ja nicht beiden folgen, deshalb bin ich vorsichtig Mehmet nachgeschlichen. Er hat eine Weile in der Nähe des Gästehauses gewartet, und als Zlatko allein herausgekommen und gegangen ist, hat er offenbar angenommen, daß du noch eine Weile beschäftigt sein würdest. Jedenfalls ist er irgendwann aufgebrochen. Ich habe mir gesagt, daß er entweder aufgibt oder am Tor auf dich warten wird.« Antonio kaute einen Moment auf seiner Unterlippe; dann fuhr er fort. »Dies war der Augenblick des Kreißens, nehme ich an. Wie glücklich ich mit den Aufgaben gewesen bin, die mein edler Vater, den der Herr bewahren möge, mir zugeteilt hat, weißt du ja. Ich bin heimgegangen, habe meine Sachen gepackt, einen Brief an den Leiter des Kontors geschrieben; und dann bin ich, wie du weißt, zu spät gekommen, um dir zu helfen, aber nicht zu spät, um Goran zu wecken und vorzubereiten.«
    Eine kleine Weile betrachtete ich ihn, und er erwiderte meinen Blick. »Der Sprung ins Meer der Abenteuer«, sagte ich dann, »und das Gefühl, einem Freund helfen zu sollen?«
    »Beides, ja.«
    »Ich danke dir, carissimo. Ich kann nur hoffen, daß ich mich irgendwann als deiner Zuneigung würdig erweise. Und ...«
    In diesem Augenblick erschien der Wirt mit einer großen Platte, auf der alles, was an einem sterblichen Zicklein eßbar ist, köstliche Dämpfe aufsteigen ließ; deshalb redeten wir nicht weiter. Ein wenig später, als der Rest des Zickleins nicht viel größer war als der Rest unseres Hungers, sagte Antonio: »Ich nehme an, deine zweite Hoffnung bezieht sich auf mein Überleben.«
    Ich nickte.
    »Dann laß mich, nach dem vorhin erwähnten Kreißen, nun eine Entbindung vornehmen und dich von aller Verantwortung befreien. Ich hätte ja Goran wecken und danach in die gesicherte Langeweile des Kontors zurückkehren können.«
    »Danke, daß du mich von der Verantwortung entbindest. Von der Sorge kannst du mich nicht entbinden, aber ...«
    »Sag mir lieber«, unterbrach er mich, »was du Otero fragen wolltest. Hättest fragen wollen, wenn genug Zeit dazu gewesen wäre.«
    »Dies und das«, sagte ich. »Zum Beispiel, wie es ist, ein Mädchen zu heiraten, gegen den Willen des Vaters, der auch noch der zuständige Kommandant ist.«
    »Lustvoll, nehme ich an.«
    »Zum Beispiel auch, was er – Otero, meine ich – neulich in Ragusa zu erledigen hatte.«
    »Und du meinst, er hätte es dir gesagt?«
    »Vielleicht hätte ich aus der Art seines Schweigens auf die Art seiner Geschäfte schließen können.«
    Antonio schob die leere Holzplatte von sich. »Satt«, murmelte er; vielleicht war es aber auch ein Murren. »Ist es nicht traurig, daß man nie so viel essen, trinken und lieben kann, wie man möchte?«
    »Da gibt es noch einige weitere Dinge«, sagte ich. »Und ehe wir zu den nächsten Fragen kommen, laß mich dir sagen, daß ich mich freue, dich hier zu sehen. Aber wie verfahren wir weiter?«
    Antonio kratzte sich den Kopf; dann klopfte er an den Krug. »Zuerst bestellen wir noch etwas Wein. Und dann – wie sicher bist du, daß wir überhaupt verfahren können?«
    Der Wirt kam, räumte die leeren Platten weg und brachte uns einen vollen Krug.

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