Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)
»aber wenigstens kein Ungeziefer.«
»Reden, hörst du?«
Er stand auf. »Natürlich höre ich. Und bei der Aussicht auf angeregte Unterhaltung hüpft mein Herz wie ein Zicklein.«
Ich machte »bä-ä-äh« und ging zur Tür. Sie hatte ein Vorhängeschloß – der Schlüssel steckte –, und die Fenster waren vergittert.
»Komm, laß uns zusehen, daß wir etwas zu essen finden.«
»Henkersmahlzeit?«
»Sie werden uns nicht hängen«, sagte ich. »Du hast deinen ferman, das macht dich beinahe zum Gesandten, also unverletzlich ...«
»Beinahe.«
»Beinahe unverletzlich ist schon ziemlich gut, wenn man den Zustand der Welt bedenkt.«
Antonio lachte; es hallte im leeren Hof, und wie zur Antwort schnaubte eines der Pferde. »Was ist mit dir?«
»Ich werde mich schon rausreden, hoffe ich – Waffenbruder und Wien und derlei.«
»Und wenn nicht?«
»Will ich vorher von dir noch ein paar Antworten, damit ich nicht ganz so dumm sterbe.«
Eine der Schänken am Hafen war geöffnet. Die finsteren Blicke, mit denen man uns bedachte, hellten sich auf, als ich auf Kroatisch fragte, ob man hier für Münzen etwas gegen Hunger unternehmen könne.
»Noch«, sagte der Wirt.
»Und danach?«
Er breitete die Arme aus, ließ sie sinken und stützte sich auf den Schanktisch. »Verhungern? Fliehen? Mal sehen.«
Es gab Wein, Wasser, Brot, Fisch – oder ein gebratenes Zicklein. »Zicklein«, sagte Antonio, »wenn es dir recht ist.«
»Paßt zu deinem hüpfenden Herzen.«
Wir setzten uns an einen Tisch, von dem aus wir über der Bucht die Sonne sinken sahen. Außer uns und dem Wirt hockten fünf ältere Männer in der Schänke; da wir offensichtlich keine Spanier waren, achteten sie nicht weiter auf uns.
Wir schwiegen, bis der Wirt uns mit Wein und Brot versehen und mitgeteilt hatte, das Zicklein brauche noch etwa eine halbe Stunde. Antonio füllte unsere Becher, trank aber nicht, sondern legte beide Hände um den Krug.
»Ich harre deiner Rede, o Vortrefflicher«, sagte er, ohne mich anzusehen.
Ich riß ein Stückchen Brot ab, tunkte es in den Becher und steckte es in den Mund. Der Hunger, bisher eine dumpfe Gegenwart im Hintergrund, wurde durch den Geschmack zu dringlicher Anwesenheit geweckt: Lust und Schmerz zugleich. Ich seufzte.
»Ich kannte einen Antonio«, sagte ich dann, »der muntere Spottverse abgesondert und Venedigs Kurtisanen geliebt hat.«
Er unterbrach mich. »Laura ist ja schon vergeben.« Er grinste, ließ endlich den Krug los, trank einen Schluck und griff zum Brot.
»Ich weiß nicht, wo dieser Antonio geblieben ist. Der andere Antonio, der sein altes Leben zurückgelassen hat, mehrere Sprachen spricht und einen Degen trägt, ist mir fremd.«
»Degen und Fechtkunst gehören, wie du wissen solltest, zum anmutigen venezianischen Jüngling. Ich dachte, wir wären so etwas wie Freunde; warum beleidigst du mich, indem du mich für so hohl hältst, wie dieser Krug bald sein wird?«
»Keine Ausreden – mein Freund. Was ist mit deinem alten Leben?«
Er verzog den Mund. »Man sollte nur etwas bewahren, was des Bewahrens wert ist. Langeweile, o Jakko, kann einen auch zum Schwitzen bringen, verschwitzte Kleider muß man wechseln, und was ist ein ödes altes Leben anderes als öde alte Fetzen?«
»Dann laß mich anders fragen. Kannst du verstehen, daß dein alter Freund Jakko verblüfft war, als du mit einem Degen durch die Nebelnacht von Ragusa geschlichen kamst?«
»Nicht geschlichen.« Antonio schüttelte den Kopf; er schien ein Lächeln zu unterdrücken. »Ich bin gegangen.«
»Warum bist du gegangen?«
Er sah nicht mich an, sondern die sinkende Sonne, die Boote, den Hafen oder sonst etwas draußen, als er antwortete. »Es gab da einen Mann, den ich geliebt und bewundert habe, weil er etwas getan hat, statt nur schön zu reden. Er ist aber gerade dabei, mich durch unangebrachtes Mißtrauen fortzustoßen.«
Ich hob den Becher. »Ich weiß nicht, ob ich deine Freundschaft und Bewunderung verdiene, und ich trinke auf deine Klugheit, die dir zweifellos sagen wird, daß ich alle Zuneigung und jegliche Bewunderung verlöre, wenn ich so dumm wäre, nicht zu fragen, warum einer die Aussicht, alt, reich und fett zu werden, für Entbehrungen, Lebensgefahr und Kargheit aufgibt.«
Antonio lachte, hob seinen Becher und stieß mit mir an. »Diesen Satz hätte kein Kanzleischreiber schöner drechseln können.« Er trank, dann setzte er den Becher ab und sah mich an. »Ich hatte eine gewisse junge Dame
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