Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)
strahlte. »Bevor die Osmanen uns die Fahrt dorthin unmöglich gemacht haben, hatten wir dort Handelsstützpunkte, nicht wahr?«
»Ich bewundere Eure Kenntnisse, Herr.«
»Ach, ich bitte Euch, das ist nicht der Rede wert. Also von dort stammt er?«
»Nicht ganz; noch ein bißchen weiter weg.«
Der Schreiber seufzte. »Wenn ich nun ›Mongole von jenseits der Krim‹ schriebe?«
»Das wäre zweifellos wohlgetan, und niemand könnte Euch deshalb tadeln.«
Der Schreiber nahm die weggelegte Feder wieder auf, tauchte sie in Tinte, legte sie erneut aufs Papier. »Es wäre aber nicht ganz richtig, nicht wahr?«
Eine Weile später fanden wir uns im Besitz eines Dokuments, demzufolge wir berechtigt waren, venezianische Lande zu bereisen und straflos venezianische Schiffe zu benutzen.
»Aber«, sagte der Schreiber, »das wird Euch nichts nützen.«
Ich hatte mich erhoben, um zu gehen; Belgutai war schon an der Tür. Ich winkte ihn zu mir und deutete auf den Schemel; dann ließ ich mich wieder sinken. »Warum nützt es uns nichts, edler Herr?«
»Weil Krieg ist.«
»Ich hörte doch eben von Euch, daß wir zur Zeit nicht im Krieg sind.«
»Wir nicht, aber andere.«
»Könnt Ihr erläutern, wieso das unsere Reise behindert?«
»Die Türken wollen Castelnuovo von den Spaniern zurückerobern.«
»Ja, wir haben davon gehört. Aber betrifft uns das?«
»O ja, durchaus.«
In den letzten Wochen hatte ich Belgutai ein paar Brokken Italienisch beigebracht, aber für diese Mäander reichte es nicht. »Was will?« sagte Belgutai. »Tür auf, Tür zu, keine Tür, Sattel weg, Sattel da, aber nicht benutzen?«
Der Schreiber verstand natürlich Kroatisch. »Sättel gibt es zu Genüge.« Er klang ein wenig beleidigt. »Auch an Türen herrscht kein Mangel.«
»Das gut.« Belgutai setzte ein breites Lächeln auf. »Tür und Sattel vorhanden, das gut.«
»Nicht wahr?«
»Laßt uns nicht über Sättel reden, Herr«, sagte ich, wieder auf italienisch. »Was hindert uns daran, zur Küste zu reiten und ein Schiff zu suchen?«
»Der Krieg, wie gesagt.«
»Den wir nicht führen?«
»Eben dieser. Da die Türken rüsten, ist nicht auszuschließen, daß sie unsere Grenzen verletzen. Deshalb rüsten wir ebenfalls. Deshalb sind die Straßen verstopft.«
»Ah. Dann werden wir neben den Straßen reiten.«
»Das ist eine glänzende Überlegung! Man könnte es wirklich versuchen.«
»Wir reiten also neben den Straßen zur Küste, nach Bar oder Budva, und ...«
»In Budva sind zur Zeit nur Soldaten und Kriegsschiffe«, sagte er.
»Also Bar?«
Er nickte. »Antivari«, sagte er betont.
»Und Ihr meint, von dort aus ...«
»Keineswegs.«
»Überhaupt nicht?«
»Unter gar keinen Umständen.«
»Wieso nicht?«
»Die Türken, mit denen wir nicht mehr im Krieg sind, sperren die Häfen. Es könnte ja sein, daß ein Schiff doch nicht nach Venedig geht, sondern Nachschub oder wenigstens Proviant für die Spanier nach Castelnuovo bringen will.«
»Aber Castelnuovo wird doch auch von den Türken gesperrt. Wie sollte ein Schiff es anlaufen können?«
»Tja«, sagte der Schreiber, »das sind die Rätsel, mit denen wir uns jeden Tag zu plagen haben.«
»Wir können es aber versuchen?«
»Versuchen könnt Ihr es auf jeden Fall.«
»Wir danken Euch, Herr, für Eure Zeit und die erhellenden Auskünfte.«
Als wir wieder auf der Straße waren, sagte Belgutai: »Verfinsterung überaus schwangere. Diesen Mann – alle Venezianer so? Diesen Mann Kopf abwärts aufhängen, schneiden und Schweine füttern.«
»Nicht Schweine. Ratten.«
Wir ritten nach Bar/Antivari. Fünfzehn Jahre zuvor war die Stadt von den Türken geplündert worden; hier und da sah man noch Ruinen, aber die meisten zerstörten Häuser waren ersetzt oder ausgebessert worden. In den Hafenschänken erkundigten wir uns nach Schiffen, und wie wir uns gedacht hatten, war es nicht schwierig, eines zu finden, das uns nach Venedig bringen würde. Belgutai weinte beinahe, als wir am Nachmittag vor dem Auslaufen unsere treuen Pferde verkauften. Die letzte Nacht verbrachten wir in einem Gasthaus, nicht einmal hundert Schritte vom Kai entfernt.
In der Schänke war kaum Platz zu finden, so viele Seeleute und Soldaten drängelten sich dort. Sie würden die Nacht in ihren Unterkünften verbringen, aber vorher wollten sie gründlich trinken. Von einem Neapolitaner, der als Fähnrich mehrere Nachschubzüge zur Bucht von Cattaro begleitet hatte, hörte ich, daß der Maure at-Tahir tot
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