Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)
ausgerichtet hast, werde ich dich töten. Danach ist deine Frau frei.«
»Und wenn ich dich töte? Oder willst du deine Ehrenhaftigkeit verleugnen und mich von vielen Männern töten lassen?«
Nun lächelte er – nicht lange, aber es war ein wirkliches Lächeln. »Ich sagte, ich werde dich töten. Mit eigener Hand. Nachdem ich dich entwaffnet habe.«
»Was, wenn ich dich töte? Werden deine Leute uns gehen lassen?«
»Zweifelst du an der Ehre türkischer Offiziere?«
»Erlaube mir, an der Beschaffenheit der Menschen allgemein zu zweifeln.«
Er stand auf. »Komm. Du auch.« Das galt dem Bewaffneten. »Ich werde dich kurz mit deiner Frau sprechen lassen. Danach ...« Er sprach nicht weiter.
Als Karim den Stuhl verschob, tauchten wie aus dem Mauerwerk zwei Diener auf. Einer ging voraus, einer zwischen Karim und mir, der Wächter bildete die Nachhut. Wir gingen durch einen Korridor, vorbei an mehreren Türen; der erste Diener blieb vor einem Vorhang stehen, wo ich eine weitere Tür erwartet hätte, auf der linken Seite des Gangs. Er zog den Vorhang beiseite.
»Fünf Sätze«, sagte Karim Abbas. Er ging ein paar Schritte weiter und deutete auf den Vorhang.
Auf das, was dahinter lag. Es war keine gewöhnliche Tür, sondern ein verriegeltes Gitter. Ich blickte in einen Raum mit Diwan, Sitzkissen, Blumen und Büchern; auf einem Tisch lagen Papier und Schreibzeug, und durch eine halboffene Tür auf der anderen Seite des Zimmers konnte ich eine Art Bad erahnen.
Laura hatte am Tisch gesessen; nun stand sie auf und kam zum Gitter. Die Abstände zwischen den waagerechten und senkrechten Stäben waren zu klein für eine Hand – zwei Finger, mehr nicht, und mehr konnte ich von ihr nicht berühren.
»Fünf Sätze, für jeden«, sagte Karim. Er verschränkte die Arme und richtete den Blick an die Decke.
Wir sahen einander an, soweit es das Gitter zuließ. Laura wirkte gefaßt; sie schien nicht abgemagert oder mißhandelt zu sein. Sie trug ein weites, weißes, fast durchscheinendes orientalisches Gewand und war barfuß. Gitter und Kleidung erinnerten mich an Bilder, die ich von Frauen in einem Harem gesehen hatte; immerhin war sie nicht verschleiert.
Wir schwiegen; ich überlegte fieberhaft, welche fünf Sätze ich sagen sollte, und ich nehme an, sie tat das gleiche.
»Liebste, wirst du gut behandelt?« sagte ich schließlich.
Sie nickte. Ich sah, wie sich in ihren Augenwinkeln Tränen bildeten. »Die einzige Mißhandlung ist die durch meine Gedanken an meine unsägliche Dummheit«, sagte sie.
»Der Brief hätte ja echt sein können. Den Kindern geht es gut, aber natürlich vermissen sie dich.«
»Drei«, sagte Karim Abbas. »Und einer.«
Laura versuchte ein Lächeln, aber es gelang ihr nicht ganz. »Kannst du tun, was er von dir verlangt?«
Ich nickte.
»Weißt du inzwischen, warum er es verlangt? Ich weiß es nicht.«
»Drei und vier«, sagte Karim.
Laura biß sich auf die Lippen; zwei Tränen rollten ihre Wangen hinab.
Ich seufzte und schüttelte den Kopf.
»Du hast noch zwei Sätze«, sagte Karim. »Sprich schneller, sonst beende ich das hier.«
»Was auch geschieht, du wirst freikommen und heimkehren.« Ich küßte die beiden Finger, die sie durchs Gitter gesteckt hatte.
Laura schloß die Augen; weitere Tränen rannen. »Ich will, daß du lebst, mein Leben.«
»Ich liebe dich.«
»Schluß«, sagte Karim Abbas; der Diener zog den Vorhang zu.
Schweigend drehte ich mich um und ging hinter dem Wächter zurück zum Empfangssaal. Dort blieb ich stehen und sah in Karims Augen.
»Deine Ehre.« Es kostete mich Mühe, die beiden Wörter zu sagen.
Er nickte. »Meine Ehre und dein Leben. Ah, noch etwas. Ich weiß, daß dieser mongolische Bogenschütze deine Kinder bewacht. Sieh zu, daß du lebend aus Herceg Novi zurückkommst. Wenn nicht, oder wenn du fliehst, werden deine Kinder sterben. Und deine Frau auch – nachdem ich mich an ihr gesättigt habe.«
DREIUNDZWANZIG
Steine und Klingen
W illst du nicht etwas mehr über die Türken schreiben?« sagte Goran.
»Wozu? Und was?«
»Wer sie sind, woher sie kommen, was sie wollen, so etwas. Ihre Ordnung, ihr Glaube, die Janitscharen, die Ulemas, der Sultan, die Eunuchen?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Warum nicht?«
»Wenn die Kinder je meinen Bericht lesen, werden sie alles, was sie über das Osmanische Reich wissen wollen, woanders finden können.«
»Nichts über die Knabenlese, damit dein Sohn weiß, was ihm entgangen ist?« Goran kicherte. »Aber
Weitere Kostenlose Bücher