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Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)

Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)

Titel: Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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vielleicht ist Venedig ja bald türkisch; dann wird auch bei euch die Knabenlese stattfinden, und dein Sohn kann Hofbeamter oder Janitscharenführer werden.«
    »So ungnädig werden hoffentlich die beteiligten Götter nicht sein.«
    »Und über die willst du auch nicht schreiben?«
    Ich seufzte. »Sie sind immer nur Vorwand«, sagte ich. »Danach geht es um Land und Gold und Macht.« Ich griff zur Feder und schob das Papier zurecht.
    »Was willst du jetzt schreiben? Wenn nicht darüber?«
    »Den Rest der Geschichte.«
    »Schon? Du bist doch noch gar nicht so weit.«
    »Und wenn du mich noch länger vom Schreiben abhältst, schaffe ich nicht einmal den Weg von Trebinje nach Herceg Novi, bis ...«
    Er hob beide Hände und stand auf. »Ja, ja, ich weiß schon; alter Trottel, halt den Mund und laß mich in Ruhe.«
    »Habe ich dich nicht auch fürs Schweigen gut bezahlt?«
    »Ah, was heißt bei Geld schon ›gut‹!«

    Es waren nicht viel mehr als zwanzig Meilen, aber wir brauchten zweieinhalb Tage für die Strecke. Bekim begleitete oder geleitete mich wieder, und diesmal war er nicht so schweigsam.
    Mittags verließen wir die staubige Straße und rasteten in einem engen grünen Tal. Ich sammelte trockene Zweige und machte Feuer. Bekim reichte mir einen Kochtopf, Salz und den Wasserschlauch; dann spitzte er förmlich die Ohren und sagte leise: »Warte.« Aus einer Tasche seiner Jacke zog er ein langes Lederband – dachte ich; es war jedoch eine Schleuder. Aus einem Beutel am Gürtel nahm er zwei flache Steine; dann ging er langsam, fast geräuschlos taleinwärts.
    Wenige Momente später kehrte er mit einem Kaninchen zurück. Der Kopf des Tiers war zerschmettert, und er hatte nur einen Stein gebraucht; den zweiten steckte er zurück in den Beutel.
    »Gute Jagd«, sagte ich.
    Er grinste kurz, zog das Messer und begann mit dem Abziehen und Ausweiden. »Hütejungen in den Bergen jagen so«, sagte er.
    »Wie bist du aus den Bergen zu Karim Abbas gekommen? Knabenlese?«
    »Dann wäre ich bei den Janitscharen. Oder in einer Schule. Ich habe Schafe gehütet. Bei einem Aufstand sind meine Eltern umgekommen ...«
    Ich unterbrach ihn. »Sohn von Rebellen? Und dann Diener bei einem Türken?«
    »Nein, nein. Den Aufstand haben andere gemacht; dafür wurde ein Dorf niedergebrannt. Mit meinen Eltern. Von den Venezianern.«
    »Ah. Falsche Seite der Grenze, wie?«
    Er nickte. »Ich bin zu den Türken gegangen. Als Pferdebursche. Dann bei einem Händler, und vor einem Jahr bin ich mit zwei anderen von Karims Oberdiener übernommen worden.«
    »Und dann vertraut man dir so einen wie mich an?«
    Er blickte an mir vorbei. »Wir sind beide gleich wenig wert. Das kann jetzt gebraten werden.« Er reichte mir das Kaninchen.

    Die Straße führte durch die Berge, und sie war überall verstopft von Karren, Kanonen, Tieren und Soldaten. Immer wieder mußten wir warten, bis jemand geruhte, uns vorbeizulassen, oder bis wir eine Stelle erreichten, wo es möglich war, über nicht allzu steile Abhänge auszuweichen. Am Abend des zweiten Tages erreichten wir Kameno, wo Antonio, Belgutai und ich, aus Herceg Novi kommend, die Straße verlassen und den Weg durch die Berge genommen hatten. Der Ort war wohl von seinen eigentlichen Bewohnern immer noch verlassen; aber nun war er ein Heerlager.
    Morgens mußten wir uns Zeit lassen; alles war von türkischem Nachschub verstopft. Bis wir aufbrechen konnten, war es fast Mittag, und die letzte, gut ausgebaute türkische Verschanzung erreichten wir nachmittags. Sie sperrte die Straße kaum tausend Schritte von der Festung entfernt – zu nah, als daß die Spanier es hätten gemütlich finden können, zu weit für sinnvollen Beschuß aus den leichten Feldgeschützen.
    »Wollen wir hier die Nacht verbringen?« sagte ich. Die Sonne stand schon im Südwesten, über der Festung und der Stadt Herceg Novi, hinter der ich die Bucht sehen konnte. Die Bucht, das Meer und einige Galeeren.
    »Mein Herr sagt nein, sofort zu den Feinden.« Ich bildete mir ein, etwas wie Bedauern in Bekims Stimme zu hören.
    Er gab dem türkischen Offizier, der die Stellung befehligte, ein Schreiben. Der Mann öffnete, las, schien zu stutzen, las noch einmal und hob das Blatt dann vor Mund und Stirn.
    »Wie der edle Karim Abbas befiehlt.« Es klang verblüfft, vielleicht verdrossen.
    Ich fragte mich, was Karim ihm geschrieben haben mochte, aber bis wir zum östlichen Tor der Festung gelangt waren, hatte ich keine halbwegs glaubwürdige Mutmaßung

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