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Das Labyrinth

Das Labyrinth

Titel: Das Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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standen die Chancen, daß jemand siebenundneunzig Zimmer hatte, siebenundneunzig Schließfächer oder siebenundneunzig von irgendwas und ihm nur noch die Nummer fehlte?
    Vielleicht war es der Gedanke, etwas zu kaufen. Die Vorstellung eines Marktes. Schließlich handelte es sich um einen Genossenschaftsladen, und die Leute wollten kaufen - irgendwas.
    Auf dem dritten Tisch lag ein Seifenriegel, aus einem größeren,  gebrauchten   Seifenriegel herausgeschnitten, zwanzig Kopeken. Ein rostiges Buttermesser, fünf Kopeken. Eine schwarz angelaufene Birne mit abgebrochenem Glühfaden, drei Rubel. Wieso, wenn eine neue Glühbirne nur vierzig Kopeken kostete? Da es in den Geschäften keine neuen Glühbirnen zu kaufen gab, nahm man die kaputte Birne mit ins Büro, ersetzte die Birne in der Lampe auf dem Schreibtisch durch die kaputte und nahm die heile mit nach Haus, um nicht im Dunkeln sitzen zu müssen.
    Arkadi verließ den Laden durch die Hintertür und ging durch den Dreck zur zweiten Adresse, einem Milchgeschäft, die Zigarette in der linken Hand, was bedeutete, daß Kim nicht im Laden gewesen war. Auf der anderen Seite der Straße schien Jaak in seinem Wagen eine Zeitung zu lesen.
    Es gab weder Milch, Sahne noch Butter in dem Milchgeschäft, aber die Kühlräume waren vollgestellt mit Zuckerkisten. Am leeren Tresen standen Frauen in weißen Kitteln und mit Hauben, den gelangweilten Ausdruck der Nachhut auf dem Gesicht. Arkadi hob den Deckel einer Zuckerkiste an. Leer.
    »Schlagsahne?« fragte er eine Verkäuferin.
    »Nein.« Sie schien erstaunt zu sein.
    »Quark?«
    »Natürlich nicht. Sind Sie verrückt?«
    »Ja, aber dafür hab ich ein ziemliches Gedächtnis«, sagte Arkadi. Er zückte seinen roten Ausweis, ging um den Tresen und durch die Pendeltür auf den Hof. Ein Lastwagen stand in der Ladebucht, und eine Milchlieferung wurde in einen zweiten, leeren Lastwagen umgeladen. Die Geschäftsführerin des Ladens kam aus einem Kühlraum. Bevor die Tür ins Schloß fiel, sah Arkadi Käseräder und Buttertröge.
    »Alles, was Sie sehen, ist reserviert. Wir haben nichts, gar nichts«, verkündete sie.
    Arkadi öffnete die Kühlraumtür. Ein älterer Mann hockte wie eine Maus in der Ecke. Mit der einen Hand hielt er eine Bescheinigung umklammert, die ihn als freiwilligen Milizkontrolleur zur Bekämpfung von Hamsterei und Spekulation auswies. Die andere Hand hielt eine Flasche Wodka.
    »Wärmst du dich auf, Onkelchen?« fragte Arkadi.
    »Ich bin Kriegsveteran.« Der alte Mann wies mit der Flasche auf die Medaille an seiner Brust.
    »Das kann ich sehen.«
    Arkadi ging durch den Lagerraum. Wozu brauchte ein Milchgeschäft Vorratskisten?
    »Das alles hier ist für Kranke und Kinder bestimmt«, sagte die Geschäftsführerin.
    Arkadi öffnete eine der Kisten und sah, daß sie bis zum Rand mit Mehlsäcken gefüllt war. Aus einer weiteren rollten Apfelsinen um seine Füße und über den Fußboden. Eine dritte Kiste, Zitronen rollten über die Apfelsinen.
    »Kranke und Kinder«, rief die Geschäftsführerin.
    Die letzte Kiste war vollgestopft mit rotweißen Marlboro-Packungen.
    Arkadi trat vorsichtig über die Früchte und ging wieder hinaus. Die Männer, die die Milch umluden, wandten ihre Gesichter ab.
    Die Zigarette immer noch in der linken Hand, begab sich Arkadi über den mit Glassplittern übersäten Hof zurück auf die Straße. Überall verrostete Abflußrohre und verwitterte Fensterrahmen, Wohnhäuser verfielen. Die Wagen auf der Straße sahen aus wie verrostete Wracks. Jugendliche klammerten sich an die rostroten Drahtseile eines Karussells ohne Sitze. Selbst die Schule schien aus rostigen Ziegeln zu bestehen. Am Ende der Straße stand das Haus der örtlichen Parteizentrale, wie ein Mausoleum mit weißem Marmor verkleidet.
    Als er Juljas letzte Adresse für Kim erreichte, ließ Arkadi die Zigarette fallen. Er stand vor einer Tierhandlung, von deren Fassade in großen, ungleichmäßigen Stücken der Putz abblätterte. Er hörte, wie Jaak mit dem Wagen hinter ihm herrollte.
    Die einzigen Tiere, die hier verkauft wurden, schienen Küken und Katzen zu sein, die in Drahtkäfigen piepsten und miauten. Die Verkäuferin war eine junge Chinesin, die etwas zerschnitt, das wie eine Leber aussah. Als die Leber sich dann aber bewegte, sah Arkadi, daß es sich in Wirklichkeit um einen wimmelnden Haufen Mückenlarven handelte. Er trat hinter den Tresen und öffnete die Tür zu einem Hinterzimmer, während das Mädchen ihm mit ihrem

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