Das Labyrinth
freundlich, als befänden sie sich auf einer Spritztour, als stamme die Idee, zu dritt zu reisen, von ihm selbst.
Die Landschaft lag unter dichtem Regen. Irina, die vorne saß, strahlte eine spürbare Warme aus. Sie lehnte mit dem Rücken an der Wagentür, um Arkadi ins Gespräch mit einzubeziehen, ja, es wirkte fast so, als wollte sie Max daraus ausschließen.
»Die Ausstellung wird dir gefallen. Es ist eine russische Ausstellung, obwohl einige der Bilder noch nie in Moskau zu sehen waren, jedenfalls nicht öffentlich.«
»Irina hat die Texte für den Katalog geschrieben«, sagte Max. »Sie sollte wirklich dort sein.«
»Im Grunde geht es nur um die Herkunft des Hauptwerks, Arkadi. Aber es ist wirklich wunderschön.«
»Dürfen eigentlich Kritiker das Wort >wunderschön< verwenden?« fragte er.
»In diesem Fall«, versprach sie ihm, »ist es vollkommen angebracht.«
Arkadi genoß es, von ihrem anderen Leben zu hören, dieser neuen, unabhängigen Mischung aus Wissen und Wertschätzung. Er selbst war durch seine Erfahrungen mittlerweile Experte im Einholen von Netzen und im Ausnehmen von Fischen. Warum sollte sie also keine Kunstexpertin sein? Max schien ebenfalls stolz auf sie zu sein.
Von seinem Platz im Fond des Wagens konnte er nicht erkennen, an welchem Punkt sie die Grenze zur ehemaligen DDR überquerten. Als die Straße schmaler wurde, verlangsamten sie die Fahrt, da gleichzeitig landwirtschaftliche Fahrzeuge und Geräte aus dem Nebel auftauchten. Anschließend nahmen sie wieder Geschwindigkeit auf. Es war, als wären sie alle drei in einer Blase gefangen, die von einem von Regen gespeisten Fluß mitgerissen wurde.
Ein Gefühl der Zeitlosigkeit bestimmte die Situation, was nicht zuletzt Max Albows Selbstbeherrschung zuzuschreiben war, dachte Arkadi. Max hätte ihn bereits in Moskau ausschalten können, statt dessen hatte er ihn nach München fahren lassen. Er war überzeugt, daß Max ihn in München schließlich lieber tot gesehen hätte, aber jetzt fuhr er mit ihm nach Berlin. Konnte Arkadi Albow etwas vorwerfen? Mit welcher Berechtigung? Er konnte ihm nicht einmal Fragen stellen, ohne sich abermals dem Vorwurf auszusetzen, Irina auszunutzen, ohne Gefahr zu laufen, sie ein zweites Mal zu verlieren.
»Da Irina morgen viel zu tun hat, könnte ich Ihnen die Stadt zeigen«, sagte Max. »Sind Sie schon mal in Berlin gewesen?«
»Mit der Armee. Er war dort stationiert«, antwortete Irina für Arkadi. Er war überrascht, daß sie sich daran erinnerte.
»Als was?« fragte Max.
»Ich hab die amerikanische Kommandozentrale abgehört«, sagte Arkadi, »und das, was ich auffing, für unsere Zentrale übersetzt.«
»Das gleiche, was du bei Radio Liberty gemacht hast, Max«, sagte Irina.
Sie schien Gefallen daran zu finden, Max mit sarkastischen Bemerkungen anzugreifen, und die dünnen Wände der Blase begannen zu zittern. Doch es war Max’ luxuriöser Wagen, in dem sie fuhren, sein Reiseziel, dem sie zustrebten.
»Dann zeige ich Ihnen das neue Berlin«, sagte er zu Arkadi.
Als sie die Stadt erreichten, hatte es aufgehört zu regnen. Sie fuhren über die Avus, die alte Autorennstrecke, durch den Grunewald zum Kurfürstendamm. Statt des homogenen Überflusses des Münchener Marienplatzes bot der Ku’damm ein chaotisches Durcheinander von West und Ost. Menschen im sozialistischen Einheitsgrau drängten sich um Schaufenstervitrinen mit italienischen Seidenschals und japanischen Kameras. Ihre Gesichter hatten den verschlossenen, schmollenden Ausdruck armer Verwandter. Eine Phalanx von Skinheads in Lederjacken und -stiefeln marschierte über den Bürgersteig. Straßenlaternen hingen an gußeisernen Pfählen. Auf kleinen Tischchen wurden Stücke der Mauer verkauft, mit Graffiti und ohne.
»Es ist schrecklich, ein einziges Gewühl, aber es lebt«, sagte Irina. »Deswegen gab es in dieser Stadt auch immer einen Markt für Kunst. Berlin ist die einzige wirklich internationale Stadt in Deutschland.«
»Die Stadt zwischen Paris, Moskau und Istanbul«, sagte Max.
Er wies auf einen Verkäufer in einer Nebenstraße, der von einem Kleiderständer Uniformen anbot. Arkadi erkannte den grauen Mantel mit den blauen Schulterstücken eines Obersten der sowjetischen Luftwaffe. Der Verkäufer selbst war vom Kragen bis zum Gürtel behängt mit sowjetischen Kriegsauszeichnungen. »Sie hätten Ihre Uniform behalten sollen«, sagte Max.
Stas hatte Arkadi vor seiner Abreise aus München hundert Mark aufgedrängt, Arkadi war nie
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